Dr. Dagmar Enkelmann besucht Reutlingen

Enkelmann_GEADagmar Enkelmann unterstütze mit ihrem Besuch die beiden Landtagskandidaten der Wahlkreise 60 Petra Braun-Seitz und 61 Eberhard Jaensch. Sie ist erste parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Ihre Homepage >>>

Hier im Gespräch mit zwei GEA-Redakteurinnen.

Vesperkirche_KuntzHier in der Vesperkirche mit dem Leiter Pfarrer Kuntz

Petra_Dagmar Im Gespräch mit Petra Braun-Seitz

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GEA am 03.02.2011

INTERVIEW – Dagmar Enkelmann (Linke) würde für einen höheren Spitzensteuersatz Gehaltseinbußen in Kauf nehmen

»Wir würden gerne zu Helmut Kohl zurück«

REUTLINGEN. Hartz-IV-Sätze, bedingungsloses Grundeinkommen oder die Rente mit 67: Die Linkspartei setzt bei ihren Zielen vor allem auf die Unterstützung sozial Schwacher in der Gesellschaft. Dafür müsse man allerdings das Steuer- und das Rentenversicherungssystem ändern, sagt Dagmar Enkelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, im Gespräch mit den GEA-Publishing-Redakteurinnen Marion Schrade und Barbara Forro.

GEA: Sie haben als Unternehmensberaterin gearbeitet. Was können Firmen, deren Interessen letztlich kapitalistische sind, von einer Linken lernen?

Dagmar Enkelmann: (lacht) Ich war 1998 bei einer Unternehmensberatung tätig. Dort habe ich im Verkehrsbereich gearbeitet, vor allem für kommunale Verkehrsunternehmen. Insofern ging es nicht um Kapitalisten.

Da dürfte Sie Stuttgart 21 interessieren.

Enkelmann: Ja, wahnsinnig natürlich! Im Bundestag war ich in der PDS-Gruppe für Verkehrspolitik zuständig. Daher war ich mit Stuttgart bereits in den 1990er- Jahren beschäftigt. Wir haben es damals schon abgelehnt. Das ist ein Großprojekt, in das Milliarden Gelder fließen. Davon abgesehen war die Frage auch: Macht das verkehrspolitisch Sinn? Wie viel Zeitersparnis bringt das? Lohnen sich die Kosten? Wir sagen: Es macht keinen Sinn.

Bei den Protesten gegen Stuttgart 21 konnten sich aber vor allem die Grünen in Szene setzen – von der Linkspartei hat man wenig gehört.

Enkelmann: Das ist vielleicht bei Umfragen nicht so erkennbar, aber unsere Kollegen waren sehr oft in Stuttgart. Wir haben das Thema auch in den Bundestag eingebracht, um klarzumachen: In über 15 Jahren Planung ändern sich Verkehrsströme und Kosten. Eine Bürgerbeteiligung muss es geben, wenn es Gründe gibt, eine Entscheidung in Frage zu stellen. Das sollte ein Thema für den neuen Landtag sein – unter linker Beteiligung.

Der Südwesten ist traditionell eher weniger »links«. Wie wollen Sie ins Parlament einziehen?

Enkelmann: Erstens finden wir, es ist lange genug, dass Baden-Württemberg auf Landesebene ohne Linke auskommt. Zweitens brauchen wir für unsere Politik auf Bundesebene die Unterstützung der Länder. Wir sind in 13 Landtagen vertreten, es fehlen noch drei – die weißen Flecken sollten wir füllen. Wir haben gute Kandidaten und gute Ideen. Wie das Vergabegesetz: Wenn öffentliche Aufträge mit öffentlichen Mitteln vergeben werden, sollten diese Aufträge an jemanden gehen, der ordentliche Tariflöhne und keine Dumpinglöhne zahlt.

Nicht nur Dumpinglöhne dürften ein Thema für Sie sein, sondern auch die zunehmenden Leiharbeitsverhältnisse. Trotzdem preisen Regierung und Wirtschaft das neue Jobwunder.

Enkelmann: Dieser Aufschwung geht zugunsten der Exportwirtschaft. Das heißt, wir sind stark abhängig vom Export; sobald es dort wieder Einbrüche gibt, schlägt sich das auf unsere Wirtschaft nieder. Was das Jobwunder angeht: Die entstandenen Arbeitsplätze sind in der Masse nicht sozialversicherungspflichtig. Wir haben zudem über eine Million Leiharbeiter in Deutschland, ohne Kündigungsschutz, teils mit deutlich niedrigeren Einkommen. Dazu kommt, dass die Reallöhne der vergangenen Jahre gesunken sind. Wir fordern seit Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn.

In diesem Umfeld bewegt sich die Forderung der Linken nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Ihre Bezüge liegen bei etwa 10 000 Euro. Wären Sie bereit, auf einen Teil zu verzichten, um ein Grundeinkommen zu ermöglichen?

Enkelmann: Ich verzichte, indem ich viel spende. Beim bedingungslosen Grundeinkommen geht es um eine andere Frage. Wie gestaltet man zukünftig die sozialen Sicherungssysteme so, dass jeder davon profitiert? Ein erster Schritt muss eine sanktionsfreie Grundsicherung sein. Das führt uns zur Frage, wie hoch die Grundsicherung zum Beispiel für Langzeitarbeitslose sein muss. Die geplanten fünf Euro mehr bei Hartz IV reichen jedenfalls nicht aus. Beispiel Mobilität: Dafür sind im Regelsatz etwa 18 Euro monatlich vorgesehen. Es gibt aber nur einen einzigen Landkreis bundesweit, wo man dafür ein Monatsticket bekommt. Es muss deutlich neu gerechnet werden. Wir kommen auf rund 500 Euro, mit Wohngeld auf 800 bis 850 Euro.

Aber woher soll das Geld herkommen?

Enkelmann: Da müssen wir generell über das Steuersystem nachdenken, und hier bin ich als Gutverdienende natürlich auch betroffen. Der Spitzensteuersatz liegt gegenwärtig bei 42 Prozent, wir würden gerne zu Helmut Kohl zurück – bezogen auf den Steuersatz von 53 Prozent. Auch bei der Erbschaftssteuer könnte man durch ein gerechteres Steuersystem zu mehr Einnahmen kommen.

»Wir fühlen uns beim Nein-Sagen inzwischen bestätigt«

Die Linke stand in den vergangenen Wochen weniger wegen der Inhalte im Fokus, sondern vor allem wegen interner Querelen: Parteichef Klaus Ernst wegen finanziellen Zulagen, Parteichefin Gesine Lötzsch wegen ihres Kommunismus-Aufsatzes.

Enkelmann: Wir haben uns mit Themen beschäftigt, die die Bürger nicht bewegt haben. Der Aufsatz über Kommunismus hat zugelassen, dass man über etwas diskutiert, was gegenwärtig überhaupt nicht unser Thema ist. Damit war keine Diskussion über gesellschaftliche Alternativen möglich. Aber das Bedürfnis danach gibt es. Teils waren es unglückliche Aussagen. Klaus Ernst hat das mittlerweile bedauert. Er sagt einfach manches flapsig daher. Da muss er lernen, mit den Befindlichkeiten umzugehen. Der Kern der Geschichte ist meiner Meinung nach ein anderer: Wir sind eine junge Partei, aber wir haben unsere Programmdiskussion noch nicht auf den Punkt gebracht. Viele Fragen sind bislang nicht entschieden. Da müssen wir ran.

Kam die Fusion zu früh?

Enkelmann: Wir hatten uns für die Fusion von WASG und PDS mehr Zeit vorgenommen, aber dann kamen die vorgezogenen Neuwahlen 2005. Der Kopf war quasi die Fraktion im Bundestag, aber der Unterleib, die Basis hat gefehlt. Wir hätten die Programmdiskussion zügiger führen müssen, den Parteibildungsprozess haben wir ein Stück weit vernachlässigt. Das muss 2011 abgeschlossen werden.

Die Linke gilt bei vielen Themen als Nein-Sager, etwa beim Bundeswehreinsatz in Afghanistan, zu Hartz IV oder zur Rente mit 67. Wollen Sie von diesem Nein-Sager-Image weg?

Enkelmann: Bei diesen Themen fühlen wir uns beim Nein-Sagen inzwischen bestätigt. Beispiel Hartz IV: Wenn wir Hartz IV nicht abschaffen können, wollen wir wenigstens dabei mitarbeiten, ordentliche Sätze festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht hat ja geurteilt, dass die Festlegung der Sätze nicht verfassungsgemäß ist. Das sagen wir seit 2004, erst jetzt wird darüber diskutiert. Bei Afghanistan ist es ähnlich. Mittlerweile wird über den Abzug debattiert. Auch da fühlen wir uns in unserem Nein bestätigt. Was die Rente ab 67 betrifft: Wir wollen ein anderes System. Uns schwebt eine Art Erwerbstätigenversicherung vor, in die alle einzahlen. Dazu sollen alle Einkommen herangezogen werden, auch Mieten oder Pachten. Die Beitragsbemessungsgrenze muss aufgehoben werden. Gleichzeitig sollte die Rentenhöhe gedeckelt werden. Solche Maßnahmen können dazu beitragen, dass die Rentenkasse besser gefüllt ist. (GEA)

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