Jessica Tatti zum Frauentag 2017

Ihre Rede auf dem Reutlinger Marktplatz:

Liebe Reutlingerinnen und Reutlinger,

heute ist Internationaler Frauentag. Grund genug die Frage zu stellen: wie weit sind wir in Deutschland mit dem Thema Gleichstellung?

Die OECD gab vergangenen Monat bekannt, dass im Ländervergleich Frauen nirgendwo sonst so wenig zum Familieneinkommen beitragen wie in Deutschland.

Ihr durchschnittlicher Anteil am Familieneinkommen beträgt nur 22,4 %, zum Vergleich sind es in Dänemark beispielsweise 42 %.

Das liegt v.a. daran, dass 37,5 % der erwerbstätigen Frauen in Deutschland in Teilzeit arbeiten. Bei erwerbstätigen Müttern sind es sogar über 50 %.

Aber eben vielfach nicht freiwillig, sondern erzwungen durch starre Öffnungszeiten in Kita und Schule, die nicht mit einem vollen Berufsleben vereinbar sind.

Dabei sind gerade berufstätige Mütter bedeutend für die Förderung der Gleichstellung über Generationen hinweg. Eine OECD-Studie belegt, dass Kinder beider Geschlechter, deren Mütter berufstätig sind, später von der Gesellschaft eher erwarten, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben wie Männer. Söhne, die von berufstätigen Müttern erzogen werden, verbringen als Erwachsene mehr Zeit mit der Betreuung der Kinder. Töchter berufstätiger Mütter haben später mehr Erfolg im Arbeitsleben und sie verdienen besser als Töchter von Hausfrauen. Berufstätige Mütter sind daher maßgeblich am Prozess der Gleichstellung beteiligt und müssen von der Politik in besonderer Weise gefördert und unterstützt werden.

Wir fordern deshalb die gleichen Teilhabemöglichkeiten an Erwerbsarbeit durch familiengerechte Arbeitszeiten, durch Umverteilung der Arbeit und durch den Ausbau von Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen sowie der Angebote für Menschen mit Pflegebedarf. Denn es sind Frauen, die hauptsächlich die Erziehung der Kinder die Pflege von Angehörigen übernehmen und dadurch im Berufsleben und in der Konsequenz bei der Rente gravierend benachteiligt sind. Damit muss endlich Schluss sein!

Die Erwerbstätigenquote der Frauen in Deutschland ist in den letzten 15 Jahren von 58,1 % auf 69,5 % gestiegen ist – der 2.größte Anstieg im gesamten OECD-Raum. Und trotzdem besteht noch immer ein massives Einkommensgefälle zwischen den Geschlechtern:

2013 verdienten vollzeitbeschäftigte Frauen 13,4 % weniger als vollzeitbeschäftigte Männer. Nimmt man alle Beschäftigungsverhältnisse zusammen beträgt der derzeitige Lohnunterschied sogar 21%. Selbst bei gleicher Qualifikation, Erfahrung und Tätigkeit verdienen Frauen durchschnittlich 8 % weniger als ihre männlichen Kollegen.

Wir fordern eine gerechte Aufteilung der Berufschancen und es muss endlich gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Im Januar hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf beschlossen, der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen befördern soll. Es soll für Frauen ein individuelles Auskunftsrecht geben, damit sie sich über die Lohnhöhe ihrer männlichen Kollegen informieren können. Das gilt allerdings nur für Firmen mit mindestens 200 Beschäftigten und erst ab einer Firmengröße von 500 Beschäftigten soll es eine Informationspflicht zur Gleichstellung und Lohngerechtigkeit geben. Sanktionen gegen Unternehmen, die sich daran nicht halten sind nicht vorgesehen.

SPD-Familienministerin Manuela Schleswig nennt das einen „Durchbruch“. Ich nenne es einen netten aber jämmerlichen Versuch.

Die meisten Beschäftigten und auch die meisten Frauen arbeiten bei kleinen und mittelständigen Unternehmen, für die das Gesetz nicht gelten wird. Und ohne Sanktionsmöglichkeiten wird der Gesetzesentwurf nicht einmal seinen eigenen kläglichen Ansprüchen gerecht werden können. Insgesamt wird ein individuelles Recht auf Auskunft auch keine Lohngerechtigkeit herstellen.

Ein wesentlicher Schritt dazu wäre ein verbindliches Entgeltgleichheitsgesetz, mit dem Betriebe generell verpflichtet werden, ihre Entgeltstrukturen offenzulegen und auf diskriminierende Strukturen hin zu überprüfen. Hierbei würden Lohnmessverfahren angewendet, die im Vorfeld von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zertifiziert und damit vorgegeben werden. Die Entgeltberichte müssten dann in anonymisierter Form betriebsöffentlich gemacht werden. Kämen die Unternehmen dieser Verpflichtung nicht nach, müssten sie strenge Bußgelder zahlen. Das Entgeltgleichheitsgesetz sollte für Betriebe der Privatwirtschaft und den Öffentlichen Dienst gleichermaßen gelten und der Lohndiskriminierung endlich offensiv etwas entgegensetzen. Zusätzlich ist ein Verbandsklagerecht erforderlich, damit Frauen sich gemeinsam gegen Benachteiligung bei der Bezahlung wehren können. Lohndiskriminierung gegen Frauen muss im Kollektiv bekämpft werden können.

Zudem muss die gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit mit Menschen in Kindertagesstätten, in der Pflege und in der Sozialen Arbeit, die mehrheitlich von Frauen geleistet wird, endlich aufgewertet und besser bezahlt werden.

Der Markt wird weder soziale Gerechtigkeit noch Geschlechtergerechtigkeit freiwillig schaffen. Das muss die Politik durchsetzen. Am 8. März ist überall auf der Welt die Zeit das einzufordern.

Frauentag 2017

Jessica Tatti (DIE LINKE)

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