Keine ganze große Tarifbewegung

Michael Schlecht, MdB – Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE – 2. April 2012

Eine Zeitlang schienen die beiden großen Tarifbewegungen dieses Frühjahres von ver.di und der IG Metall zusammenzulaufen. Wären die Verhandlungen im öffentlichen Dienst Ende März gescheitert, dann hätte ab Ende April ein großer Arbeitskampf angestanden. Parallel dazu kommt die Tarifbewegung der IG Metall nach dem Auslaufen der Friedenspflicht am 28. April auf Touren.
Aus einer derartigen gemeinsamen Bewegung – unter Einbeziehung weiterer kleinerer Tarifrunden – hätte eine machtvolle gesellschaftliche Bewegung werden können, parallel zu den Wahlkämpfen in Schleswig-Holstein und NRW. Wichtige gesellschaftliche Konflikte waren in den Forderungen bei ver.di und IG Metall aufgenommen: Bei ver.di ging es neben der Lohnforderung von 6,5 Prozent um die Anhebung der unteren Einkommen; der sogenannten „sozialen Komponente“. Ebenso wurde die Steuerpolitik, mit der Reiche und Vermögende viel zu sehr geschont werden, thematisiert. Die strangulierten öffentlichen Kassen sind nicht Resultat zu hoher Ausgaben, sondern der Steuergeschenke an die Besitzenden. Bei der IG Metall hat der Kampf gegen die Leiharbeit, damit gegen die Prekarisierung, neben der ebenfalls geforderten Erhöhung der Löhne um 6,5 Prozent, einen besonderen Stellenwert und wird so verstärkt zu einem öffentlichen Thema gemacht.
Aus all dem Würde und Hätte wurde nichts: Am 31. März gab es bei ver.di einen Abschluss. Rückwirkend zum 1. März ist eine Erhöhung um 3,5 Prozent, ab dem 1. Januar 2013 um weitere 1,4 Prozent und dann noch einmal 1,4 Prozent ab 1. August 2013 vereinbart worden. Für 2012 ist damit maximal ein Prozentpunkt mehr als der verteilungsneutrale Spielraum – Preissteigerung plus Produktivität – erreicht worden. Die Verluste, die Umverteilung von unten nach oben liegen seit 2000 bei acht Prozentpunkten.
Das eigentliche Problem ist die fehlende soziale Komponente. Ver.di forderte eine Mindestanhebung von 200 Euro. Dann wäre der Stundenlohn in der untersten Entgeltgruppe von 8,57 Euro auf 9,76 Euro angestiegen. Die prozentuale Erhöhung um 3,5 Prozent bringt jetzt 30 Cent mehr, also 8,87 Euro. Am Ende der Laufzeit im Februar 2014 wird der Stundenlohn dann bei 9,12 Euro liegen.
Sicher, die unterste Entgeltgruppe ist ein Extrembeispiel, aber auch dort sind Kolleginnen – vor allem wohl sie – eingruppiert. In der Entgeltgruppe 2 – zum Beispiel Innenreinigung mit besonderen Anforderungen – wird es am Ende der Laufzeit zumindest 10,24 Euro geben.
Angeführt vom CSU-Innenminister Friedrich haben die Arbeitgeber gerade bei der Anhebung der Entgeltgruppen absolut blockiert. Damit haben sie letztlich die Verantwortung, dass der Niedriglohnbereich weiter zementiert wird. Pervers ist, dass die öffentliche Hand zwar nicht in Gestalt höherer Löhne, jedoch durch Aufstockungszahlungen höhere Einkommen finanziert. Mit der Blockade bei den unteren Entgeltgruppen lassen sich die öffentlichen Arbeitgeber ihre Knauserigkeit zum Teil durch das Arbeitslosengeld II-System subventionieren.
Und in den Reihen von ver.di ist dieses Ergebnis, gerade wegen der fehlenden sozialen Komponente, aber auch der Kürzung der Urlaubstage für Neueingestellte hochgradig umstritten. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass die Tarifkommission in der Nacht von Freitag auf Samstag sieben Stunden benötigte um letztlich in einer Kampfabstimmung mit einem knappen Votum das Verhandlungsergebnis zu beschließen.
Ob ein Ergebnis angenommen wird oder nicht hängt in zugespitzen Situationen immer mit der Einschätzung der Kampffähigkeit zusammen. Diese war in den beiden vorangegangen Warnstreikwellen hoch. Anfang März waren 130.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligt, vor der letzten Verhandlung rund 200.000. Gerade mit der Einbeziehung der Flughäfen wurde massiver Druck aufgebaut. Ohne diese beiden beeindruckenden Warnstreikwellen wäre das jetzige Ergebnis nie zustande gekommen.
Jedoch zeigten sich auch Brüche. In der letzten Warnstreikwoche waren in den neuen Bundesländern weniger als 20.000 beteiligt, in NRW allein rund 80.000. Die Mobilisierungsfähigkeit, natürlich auch der Organisationsgrad war und ist sehr unterschiedlich. In ostdeutschen Familien haben diejenigen, die im öffentlichen Dienst arbeiten häufig das höchste Einkommen gegenüber Familienmitgliedern aus der Privatwirtschaft. Im Westen ist es meistens umgekehrt. Kein Wunder, dass vor allem die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen in der Tarifkommission keine Kampffähigkeit für ein besseres Ergebnis sahen.
Ver.di ist nach diesem Abschluss im öffentlichen Dienst eine innerlich angespannte Organisation. Sind mit diesem Abschluss Chancen verschenkt worden? Wäre es möglich gewesen die soziale Komponente und ein besseres Gesamtergebnis in einer großen Streikauseinandersetzung zu erreichen? Oder ist mit diesem Abschluss das maximal mögliche in Anbetracht der gewerkschaftlichen Kampfkraft und der politisch strangulierten öffentlichen Kassen erreicht worden? Diese Fragen stellen sich im Kern in der innergewerkschaftlichen Debatte.
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