Sahra Wagenknecht zur Enteignung des Steuerzahlers

Artikel im Schwäbischen Tagblatt 14.03.2011 von Matthias Stelzer

Eine faustische (Links-)Außenseiterin

Sie ist so etwas wie eine kommunistische Stilikone: Sahra Wagenknecht, die schöne und streng frisierte Vizechefin der Linken, ist im kapitalistischen Deutschland fast zwangsläufig eine Außenseiterin. Dabei steht die 41-Jährige mit ihrer kritischen Weltsicht viel weiter in der Mitte der Gesellschaft, als viele Konservative glauben wollen.
Sahra
Kaum eine Politikerin in Deutschland polarisiert mehr als Sahra Wagenknecht. „Neo-Stalinistin“, „rote Teufelin“ – die politischen Gegner – auch in der eigenen Partei – haben ihr viele Stempel aufgedrückt. Isst die 41-jährige Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Hummer, ist „Bild“ das eine fette Geschichte wert, wird sie in einem Berliner Feinkostladen gesichtet, klopfen sich in der Sitzungswoche darauf die konservativen Bundestagskollegen reihenweise auf die Schenkel.

Als ehemalige Frontfrau der „Kommunistischen Plattform“ würden viele Kollegen sie lieber noch heute sozialistisch Schlangestehen sehen. Sahra Wagenknecht, die in Jena und Ost-Berlin aufgewachsen ist, hat daraus die Konsequenz gezogen, ihr Privatleben abzuschotten. Sie lebt in Düsseldorf, Berlin, und in einem kleinen irischen Dorf, in dem ihr Ehemann der Journalist und Filmemacher Ralph-Thomas Niemeyer lebt.

Mit ihm schlenderte Sahra Wagenknecht am Samstag vor ihrem Wahlkampftermin durch die Reutlinger Innenstadt. In den vergangenen Wochen hat sie so viele baden-württembergische Orte kennengelernt und dabei festgestellt, dass ihre Veranstaltungen auf „große Resonanz stoßen. „Es gibt hier viel Leute, die hätten uns vor einigen Jahren noch nicht mal angehört, jetzt wollen sie uns wählen“, sagt sie beim Interviewtermin im ersten Stock des Spitalhofs. Und das klingt ein bisschen so, als sei sie selbst überrascht, dass man ihr im konservativen Süden zuhört.

Das macht sie froh – auch weil sie weiß, dass oft mehr über ihre Frisur gesprochen wird, als über ihren Drang, die Welt zu verändern. Sie wünscht sich entgegen landläufiger Annahmen nicht in den DDR-Sozialismus zurück. Aber sie stellt die Systemfrage, weil sie glaubt, dass die Verteilung von Vermögen und Macht in Deutschland „nicht mit der Demokratie vereinbar ist“. Ganz besonders sei das in der Finanzkrise geworden, der Wagenknecht, die seit etlichen Jahren an ihrer Dissertation im Fach Volkswirtschaftslehre arbeitet, ein Buch mit dem Titel „Wahnsinn mit Methode“ gewidmet hat.

Seither zieht sie vor allem durch die Lande, um den Leuten klar zu machen, dass die Rechnung für die Bankenrettung auf die Allgemeinheit umgewälzt würden. „Das ist eine Enteignung des Steuerzahlers“, sagt sie später bei ihrer Rede vor gut 150 begeisterten Zuhörer/innen im Spitalhof. Und: „Glauben Sie nie wieder einem Politiker, wenn der sagt, es ist kein Geld da.“ Die Politik in Deutschland sei „nur zu feige, das Geld dort zu holen, wo es sich stapelt.“

Für diese Analyse muss man nicht Kommunistin sein. Wann also greift Sahra Wagenknecht auf Karl Marx zurück? „Marx hilft uns, die Wirtschaft zu verstehen. Er hat keine fertigen Konzepte für die heutige Zeit“, sagt sie. Und verweist darauf, dass im Kapital die wichtige und aktuelle Frage gestellt werde: „Wem gehört die Wirtschaft?“ Sahra Wagenknecht leitet davon ab, dass einige Banken in Deutschland „längst uns gehören müssten“. Gemeint ist damit das Volk, dass beispielsweise 18 Milliarden für die Commerzbank ausgegeben habe, als diese an der Börse nur noch etwa zwei Milliarden wert gewesen sei. Nur über staatliche Kontrolle, glaubt die Linken-Bundestagsabgeordnete, seien die großen Konzern dazu zu bewegen zum Wohle der Allgemeinheit zu wirtschaften.

Zu diesem Ergebnis war – mehr oder weniger – auch Karl Marx schon gekommen. Wobei man die Analyse da lieber Sahra Wagenknecht überlassen sollte. Sie kennt ihren Karl. Auch weil sie, glaubt man den wenigen Weggefährt(inn)en und ihrer Mutter, schon in Kinder- und Jugendtagen einen fast autistisch anmutenden Bildungshunger entwickelte. Wobei am Anfang nicht Karl Marx, sondern Johann Wolfgang Goethe gestanden haben soll. Den Faust – und zwar beide Teile – habe sie damals sogar auswendig gelernt.

Ein biografisches Detail, das wir im Spitalhof testen konnten. Und tatsächlich: Trotz leisem Protest, das sei schon alles lange her, vervollständigte – die alles andere als unzugängliche – Sahra Wagenknecht den faustischen (II) Zitateinwurf: „Das ist der Weisheit letzter Schluss:“ perfekt: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

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