Schwäbisches Tagblatt berichtet über LINKEN-Stammtisch

MIT ENGELSZUNGEN (von Thomas De Marco)
Schwäbisches Tagblatt 16.06.2012

Ein neuer Blog und keine klare Strategie

Aufbruch 2.0: Nach dem Bundesparteitag in Göttingen diskutiert die Linke unter ihrer neuen Führung über den künftigen Kurs und will dazu neue Medien erobern. Der jetzt neu eingeführte Blog „Fragend schreiten wir voran“ soll dabei ebenso in die Zukunft führen wie Massentelefonkonferenzen Ost-West mit Kreis- und Ortsvorständen aus verschiedenen Bundesländern, die sich per Chat und Mail zu Wort melden. „Von den Piraten lernen, heißt siegen lernen“, sagt dazu verwundert selbst-ironisch Rüdiger Weckmann vom Kreisvorstand der Reutlinger Linken, als sich sieben von ihnen beim Stammtisch treffen, um zu debattieren, wie dem schwarm-intelligenten, ungebremsten Aufstieg der Piraten zu begegnen sei.
Auf keinem Fall durch Anbiedern, warnt Michael Schaller, als Netz-affiner Linker prädestiniert für das einleitende Referat über die Piratenkonkurrenz, an die er laut Weckmann fast mal verloren gegangen sei – was Schaller selbst allerdings neu ist. Neu ist für viele Linke vor allem die Art der Herausforderung durch die Polit-Einsteiger und deren stark durch neue Medien geprägte Lebenswelt zwischen „Lime Survey“ und „Liquid Feedback“, das macht die anfangs wirre Diskussion deutlich.
Weckmann etwa erzählt, wie er vom Internetnachschlagewerk Wikipedia just in dem Moment überrascht wurde, als er das 20-bändige Zeit-Lexikon abonniert hatte. Andere verstehen die Wähler der Freibeuter überhaupt nicht, weil die nicht erklären können, wie sie zu entscheidenden Fragen stehen. Kreisrätin Petra Braun-Seitz dagegen zeigte starkes Interesse an den großen Beteiligungsmöglichkeiten der Piraten – will aber auch wissen, wie die Partei mit Minderheiten umgeht. Gute Frage, meint Schaller, aber die Gefahr, dass sich ein paar Cracks durchsetzen, die sei geringer als bei den Linken etwa mit Oskar Lafontaine.
Deshalb würden die Linken denn auch bei jungen Leuten unter der Kategorie „etablierte Parteien“ geführt, erklärt ein Schüler – und er macht die Probleme der Linken im Konkurrenzkampf mit den Newcomern deutlich: Piraten sprechen Jugendliche an, weil sie aus dem Schema von links-rechts ausbrechen, weil die Hemmschwelle zum Engagement durch die Möglichkeiten der Interaktion niederer sind, weil in vielen Bereichen kein Grundwissen erforderlich ist. Ganz entscheidend für ihn ist aber, „dass die Linken für die Jugend unattraktiv sind, weil sie die Technik-Affinität der Piraten überhaupt nicht haben.“
Was für Rüdiger Weckmann und Braun-Seitz das Signal ist, neue Medien bei den Linken in kleinen Schritten einzuführen. Klarmachen zum Ändern als, getreu dem Piratenmotto. Vor allem aber müsse die Partei ihr politisches Profil betonen. „Die linke Diskussionskultur darf sich nicht in „Hartz IV“ muss weg!“ erschöpfen“, fordert Schaller. „Wir müssen uns auf unsere Stärken und unsere Inhalte besinnen“, ergänzt Braun-Seitz. Dazu zähle auch, sich mit den Piraten mehr auf die Suche nach Gemeinsamkeiten zu machen, als Gegensätze zu betonen. „Es gibt ja genügend Berührungspunkte“, sagt Weckmann.
Ob die Freibeuter eine Zukunft haben, bezweifelt der Kreisvorsitzende zwar – „aber wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und dürfen sie nicht abqualifizieren.“ Die neue Führung der Linken könne da sicher eine Öffnung zur boomenden Konkurrenz schaffen. Eines macht die Diskussion beim Stammtisch aber auch klar: Zittern vor der neuen Strategie der Linken müssen die Piraten ganz sicher nicht.

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