Theodor Bergmann sprach in Reutlingen

27.01.17 Rede des Agrarwissenschaftlers Theodor Bergmann (Jahrgang 1916) auf dem Reutlinger Marktplatz

Protest gegen die AfD

Bergmann

Bild: SWP

Wir sind zusammen gekommen, um gegen die Demonstration der AfD (Alternative für Deutschland) in unserer Stadt zu protestieren, gegen Rechtsextremismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus und Antisemitismus. Die ‚Alternative‘, angeblich für
Deutschland verdreht die Tatsachen. Angeblich nehmen die Ausländer, die vor Krieg, Hunger, Tod zu uns flüchten, uns die Wohnungen weg; in Wahrheit besteht der Wohnungsmangel schon lange und die Mieten werden für viele unbezahlbar, weil seit 30 Jahren keine Wohnungen für uns gebaut werden und die städtischen Wohnungen privatisiert werden. Die Rechtsradikalen behaupten, die Flüchtlinge missbrauchen unser Sozialsystem; auch das ist unwahr; wenn sie bei uns Arbeit zu normalen Bedingungen finden, zahlen sie wie wir für Alters-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung.

Der heutige Tag, der 27. Januar, ist der Tag, an dem 1945 die Sowjet-Armee Auschwitz von den Faschisten befreit hat. 1995 hat Roman Herzog, damals Bundespräsident, diesen Tag zum Gedenktag der Befreiung erklärt. 2005 haben die Vereinten Nationen diesen Tag zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts erklärt. Es ist sicher kein Zufall, dass die AfD diesen Tag für ihre Demonstration gewählt hat. Umso lauter muss unser Protest sein.

Erfreulicherweise haben wir auch eine Willkommenskultur, viele Menschen, die auf vielen Wegen ihre Hilfsbereitschaft, ihre Menschlichkeit zeigen; sie sind allerdings nicht so laut und demonstrieren durch ihre Arbeit ihr Mitgefühl. Wenn wir die Flüchtlinge arbeiten lassen, wenn mit ihnen, für sie und für uns Wohnungen bauen lassen, dann bekommen wir einen wirklichen Aufschwung für uns alle, nicht nur wie bisher für Manager, Aktionäre und Millionäre.
Aber die AfD, die gegen, nicht für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung arbeitet, wird gefördert und respektabel gemacht durch eine ähnliche fremdenfeindliche Haltung der CSU, die nicht christlich und nicht sozial handelt und die auch die Wendung der CDU und der Bundeskanzlerin durchgesetzt hat.

 

Die Regierung schickt Soldaten in andere Länder von Estland im Norden bis nach Mali in Afrika; sie stehen an der russischen Grenze im Baltikum und Polen — natürlich nur zur Verteidigung. Das war angeblich das Ziel auch im 1. und 2. Weltkrieg, den das Kaiserreich 1914 und das dritte Reich 1939 begonnen haben. Am 1. September 1939 hatten angeblich polnische Soldaten den deutschen Sender in Gleiwitz angegriffen. Am gleichen Morgen erklärte Hitler: “Wir schlagen zurück!“ Kommt der Krieg ins Land, gibt es Lügen wie Sand – so sagt ein altes Sprichwort. So war es 1941 am 22. Juni: Angeblich wollte die Sowetunion Deutschland angreifen; dem wollte man nur zuvorkommen. So begann der Massenmord im Osten, nachdem die faschistische Wehrmacht große Teile Europas erobert hatte.

Obwohl nach den großen Niederlagen bei Stalingrad und El Alamein an der Westgrenze Ägyptens jedem Menschen klar sein musste, dass auch dieser Krieg verloren war, führten die Generäle ihn weiter und zerstörten auch große Teile Deutschlands. Heute ist Euch Jüngeren unvorstellbar, wie Restdeutschland damals aussah.

Unsere Verteidigungsministerin und ihre Regierungskoalition aus CDU und SPD haben diese unsere Geschichte offenbar nie gelernt oder vergessen.
1945 beschlossen die Alliierten, Deutschland zu entmilitarisieren; heute ist die Bundeswehr die stärkste Armee in Europa. Unser Land ist einer der drei großen Rüstungsverkäufer der Welt. Frau von der Leyen plant eine weitere Aufrüstung und Modernisierung für 180 Md. Euro – ein Zehnjahresplan.
Damit nicht genug. Vor zwei Wochen wurden – wie die Süddeutsche Zeitung am 14. Januar berichtete, viele US-Panzer zusammen mit anderem schweren Gerät (4000 an der Zahl) mit ihren 2000 Mann Besatzungen ausgeladen und reisten weiter quer durch die BRD an die polnische Ostgrenze – von Bremerhaven nach Schlesien. Mit deutscher Logistik, u.a. 900 Eisenbahnwagen – demonstrieren die US-Army und unsere Regierung Russland, wie gut die Rüstung ist.
Wir fragen: Marschiert die BRD in den 3. Weltkrieg?
Das ist die Außenpolitik von angeblich christlichen Demokraten und angeblichen Sozialdemokraten. Ebenso geschichtsvergessen sind die Rechtsradikalen der AfD über die Innenpolitik. Am 30. Januar 1933 brachte die herrschende Klasse die NSDAP an die Regierung; man übergab den ganzen Staatsapparat; und sie waren vorbereitet, ihn sofort zu nutzen.

Die Generäle sind gut bezahlt und sterben in ihren Betten. Die Rüstungsindustrie verdient; wir, das Volk, haben mit Millionen Menschenleben, mit unseren Steuern und in drei Inflationen im Laufe meines Lebens gezahlt – unsere Ersparnisse wurden jedes Mal total entwertet. Nicht anders, nur noch viel mehr tote Zivilisten und Soldaten, mehr Zerstörung würden es in einem 3. Krieg sein.
Was haben die faschistischen Kriegstreiber in Deutschland gemacht? Der Terror begann sofort. Die Kommunisten wurden sofort verboten. Sofort wurden Konzentrationslager errichtet, weil die Gefängnisse und Zuchthäuser zu klein waren für die vielen verhafteten Kommunisten. Am 27. Februar ließ Reichstagspräsident Hermann Göring den Reichstag anzünden. Am 5. März fanden unter diesem Terror die Wahlen statt, in denen die NSDAP nicht die Mehrheit erreichte. Aber die kapitalistischen Parteien halfen ihnen beim finalen Abbau der bürgerlichen Demokratie.
Dann begannen die Verfolgungen der Juden, dann das Verbot der SPD. Hitler erklärte den 1. Mai zum Feiertag der nationalen Arbeit. Die Führung der freien Gewerkschaften forderte am 1. April alle Werktätigen auf, an den kontrollierten Zwangsdemonstrationen teilzunehmen. Sie hofften, überwintern zu können. Am Morgen des 2. Mai stürmte die SA alle Gewerkschaftshäuser, verhaftete die Funktionäre; viele wurden ermordet. Die Zwangsorganisation DAF (Deutsche Arbeitsfront) trat an ihre Stelle und stahl das Vermögen der Arbeiterbewegung.
Die Aufrüstung wurde beschleunigt, ebenso die innere Kontrolle intensiviert. Die internationalen Verträge wurden zerrissen. Diedemokratischen Mächte schauten zu; denn ihre herrschende Klasse fand den Antikommunismus und Antisemitismus gut. Der proletarische Widerstand begann 1929 mit dem Aufruf der kritischen, aus der KPD ausgeschlossenen Kommunisten zur Einheitsfront aller Arbeiterparteien, der zweimal wiederholt wurde – ohne Antwort der großen Arbeiterorganisationen. Mit einer Einheitsfront hätten wir den Faschismus besiegen können. Der konservative Widerstand begann nach langem Zögern am 20. Juli 1944, als der Kapitalismus ihnen als gefährdet erschien.
Wer trägt die Schuld?
Die erste und größte Schuld trifft die deutsche Bourgeoisie: sie kannte die Ziele und Methoden der NSDAP und billigte sie.
Die zweite Schuld trifft die führenden Organisationen der deutschen Arbeiterklasse, die sich bis zuletzt bekämpften, statt gemeinsam die faschistische Gefahr zu bekämpfen.
Die dritte Schuld betrifft die Bourgeoisie der demokratischen Mächte, die die italienischen und deutschen Faschisten gewähren ließen, weil sie mit ihrem Antikommunismus sympathisierten, bis diese auch ihre Existenz bedrohte.
Heute, wo die bürgerliche Demokratie ausgehöhlt wird durch die Macht des Finanzkapitals, wo die Gefahr eines neuen Weltkriegs besteht, erinnern wir uns der großen sozialistischen Warner.
Am. 1. Mai 1912 – zwei Jahre vor Beginn des 1. Weltkrieges, warnte Friedrich Westmeyer, der Führer der Stuttgarter Sozialdemokraten, vor der Kriegsgefahr und vor den Siegesutopien des deutschen Kaisers, er war Mitbegründer des Spartakusbundes 1916, er starb 1917 in einem Lazarett hinter der Westfront.
Wir denken auch an Karl Liebknecht, der erklärte: Der Feind steht im eigenen Land. Am 1. Mai 1916 demonstrierte er in Berlin am Potsdamer Platz; er rief: Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung. Seit diesem Tag saß er im Gefängnis. Bei Kriegsende wurde er befreit. Am 15. Januar 1919 wurde er von deutschen Militärs ermordet.

Vor 10 Tagen haben wir wieder erfahren, dass die BRD und ihr Bundesverfassungsgericht nicht gewillt oder nicht fähig sind, uns vor dem wieder erwachenden Rechtsradikalismus zu schützen.
Nach 14 Jahren Überlegungen hat das höchste Gericht in Karlsruhe beschlossen, die NPD nicht zu verbieten. Die Ewiggestrigen hatten inzwischen genug Zeit, viele neue Organisationsformen zu entwickeln; eine von diesen ist die AfD.
Wir müssen also selber unsere Stimme erheben, müssen aufklären, unsere Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben.
Wir erinnern an unsere teuer bezahlten Erfahrungen und stellen uns dem neuen Rechtsradikalismus und seinen Förderern entgegen. Wir rufen alle Werktätigen auf: Nie wieder Krieg!
Nie wieder Rechtsradikalismus, Rassismus, Fremdenhass, Faschismus!
Nieder mit der Alternative gegen uns Arbeitende, die sich tarnt und sich betrügerisch Alternative für Deutschland nennt.
Hoch die internationale Solidarität mit den Werktätigen in Griechenland, Portugal, Spanien und ganz Europa.
Wir rufen wie Karl Liebknecht: Der Feind steht im eigenen Land; dieser Feind steht rechts.

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