Zorniger Zeitzeuge – Theo Bergmann im franz. K: Es muss wieder Klassenkampf geben

Schwäbisches Tagblatt vom 17.04.2010

Er ist 94 Jahre alt und noch lange kein Greis. Die Bühne des franz.K erklimmt er mit Gehstock zwar. Ansonsten hat Theo Bergmann keine Hilfsmittel nötig. Eloquenz und geistige Frische, die absolute Präsenz des alten Mannes machen den Abend zu einem Ereignis, wozu das Duo Joni Tauscher (Gitarre) und Dorothea Tübinger (Saxophon ) „Musik für eine bessere Gesellschaft“ spielt.

Über 100 Gäste hängen an den Lippen des als „Zeitzeugen“ eingeladenen Bergmann, der aus einem „Leben im Widerstand“ so plastisch berichtet, als wäre es gestern gewesen, dessen Verstand präzise urteilt, Details und Daten zu einem Weltbild fügt, das antikapitalistische Politik geradezu herausfordert und in Sätzen gipfelt wie: „Der deutsche Kapitalismus hat nach 1918 eine Blutspur hinterlassen.“ Erfüllt aber sei diese Mission, nichts Neues mehr zu erwarten, fasst der emeritierte Hohenheimer Agrarprofessor, der seit 2007 Mitglied der Partei Die Linke ist, seine Thesen zusammen. Im franz. K werden sie mit Beifall aufgenommen, wie die Forderung: „Es muss wieder Klassenkampf geben.“ Vorwiegend sind es Sympathisanten, die der Einladung von Antifa Tübingen/Reutlingen, der Linken, und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gefolgt sind.

Die Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist scharf, der Ton ironisch. Ein gemeinsames Bett mit Angela Merkel, in dem sich Sozialdemokraten und Grüne wohlfühlen? „In diesem Bett ekelt es mich!“ – verrät Bergmann, der „kritische Kommunist“. Was aber ist ein Kommunist überhaupt? will Gesprächsleiter „Titus“ wissen: „Das Gegenteil eines bürgerlichen Reformisten“, im Grunde jemand, der „eine Gesellschaft will, in der es keine Ausbeutung gibt.“

Für die Zeiten nach dem Krieg hatte das mancher für möglich gehalten. Dass es anders kam, macht Bergmann an dem „Schurken“ Adenauer fest, der sich 1947 noch zum Ahlener Programm der CDU bekannt habe – und an dem „Wunderkünstler Erhard“, der im wesentlichen mit der Einweihung von Straßen und Brücken beschäftigt war, derweil die Einführung der Marktwirtschaft nur deshalb erfolgreich verlaufen sei, weil die Menschen „drei Jahre umsonst gearbeitet“ und in dieser Zeit die Kapitalisten Waren gehortet haben.

Wer aber war schuld am Aufstieg der Nazis? An erster Stelle die Kapitalisten, dann die Sozialdemokraten, die Hindenburg in den Sattel gehoben haben, aber auch die Regierungen der Nachbarländer, von denen Hitler Hilfe bekommen hat. „Man hätte ihn mit einer anderen Politik aufhalten können, doch die einen haben geschlafen, die anderen haben ihn gewollt.“

Aber auch bei den Kommunisten sei viel schief gegangen, vor dem Krieg, nach dem Krieg und zur Wendezeit in der DDR. „Wo sind diese Helden denn geblieben“, die 2,3 Millionen SED-Mitglieder? „Sie haben geschlafen und klugen Kommunisten die Arbeit schwer gemacht.“ Auch da ist Bergmann ein unnachgiebiger Kritiker. „Wir müssen es das nächste Mal besser machen“, fordert er, und nennt die chinesischen Kommunisten als Beispiel. „Die haben ihre Fehler eingestanden. Das ist kommunistisch“. Ein Fehler wäre es allerdings , wollte man nach anarchistischem Vorbild auf die Organisation verzichten. „Ohne sie können wir gar nichts machen. Ohne Organisation werden wir den Kapitalismus nie besiegen können.“

Der das sagt, ist als Sohn eines Rabbiners und als atheistischer Kommunist in der Weimarer Republik aufgewachsen, in der NS-Zeit verfolgt und in der sowjetische besetzten Zone per Haftbefehl gesucht worden. Als Hitler die Macht übernimmt, flieht Bergmann nach Palästina und 1935 in die Tschecheslowakische Republik, wo er als „Grenzgänger“ deutsche Widerstandskämpfer versorgt.

1938 setzt er sich nach Schweden ab, arbeitet in der Landwirtschaft und leitet die Kommunististische Partei-Opposition, eine 1929 entstandene Abspaltung der KPD. Das in der Tschecheslowakei begonnene Studium der Agrarwissenschaften schließt er 1947 in Bonn ab. Später zählt er an der Uni Hohenheim zu jenen Professoren, die sich für marxistisch orientierte, vom Radikalenerlass betroffene Studenten einsetzten.

Lange dauert am Ende der Veranstaltung der Beifall an. Im Publikum der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Karl Weingärtner, der Bergman ausdrücklich dafür dankt, dass er „den jungen Leuten sagt, was Kommunismus ist“ – und dass er August Thalheimer erwähnt hat, den Autor einer ersten zutreffenden Faschismusanalyse – Thalheimer, der nach dem ersten Weltkrieg als Lehrer in der Reutlinger Oberrealschule, dem späteren Kepler-Gymnasium, arbeitete. Im Übrigen hatte Weingärtner Bergmann anno 2000 in jenem Kibbuz kennengelernt, in dem er 1933 untergekommen war. Nur an Karl Weingärtner konnte sich Bergmann nicht mehr so recht erinnern. Bernd Ulrich Steinhilber

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