13 Sep Albbote: „Ich würde mein Leben sehr gerne der Politik widmen“
Von Ralf Ott | 12.09.2017 Albbote
Unter der Überschrift „Mit heißem Kaffee gegen soziale Kälte“ warb Jessica Tatti, Bundestagskandidatin für Die Linke, kürzlich vor dem Münsinger Jobcenter für ihre politischen Ziele. Kühle Temperaturen und ein bedeckter Himmel lieferten den passenden Rahmen für das Angebot – allerdings war der Stand nicht allzu stark frequentiert. Tatti und ihr Helferteam – unter anderem mit Günter Herbig, der 2013 für die Linke im Wahlkreis Reutlingen angetreten war – reagierten flexibel und sprachen kurzerhand auch Passanten auf der gegenüberliegenden Straßenseite an. „Die Folgen von Hartz IV und der Agenda 2010 haben viele Menschen in prekäre Lebensverhältnisse gebracht“, betonte Tatti. Eine Vielzahl schlecht bezahlter Jobs werde auf der Grundlage der „Zumutbarkeitsregeln“ vermittelt, dazu komme eine Million Leiharbeitsverträge mit einem um 40 Prozent geringeren Lohnniveau. „Das Instrument Leiharbeit wird massiv missbraucht, um Löhne zu drücken“, sagte Tatti. Auch die Umwandlung vieler regulärer Arbeitsstellen in mehrere 450-Euro-Jobs gehe unmittelbar auf Hartz IV zurück. Bei Nichtbeachtung der mit der Gewähr der Leistungen verbundenen Pflichten drohen Sanktionen. „Wir wollen einen sanktionsfreie Mindestsicherung von 1050 Euro“. Zudem will die Linke das Arbeitslosengeld I länger zahlen und Sozialtarife für Strom und öffentliche Verkehrsmittel einführen. „Kurzfristig werden wir auch den im zweiten Sozialgesetzbuch genannten Regelbedarf für das Arbeitslosengeld II von derzeit 409 auf 560 Euro monatlich erhöhen“. Der Geldbeutel dürfe im letzten Drittel des Monats nicht fast leer sein. Sowohl Menschen mit wie auch ohne Arbeit seien von zu niedrigen Einkommen betroffen. Nicht zuletzt will die linke für die rund eine Million Langzeitarbeitslosen vor allem durch Fortbildungsmaßnahmen neue Perspektiven schaffen.
Wichtig ist ihr auch die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro und damit genau den Wert, der für eine Altersrente über dem Niveau der Grundsicherung erforderlich ist. Ebenfalls auf der Agenda der Linken steht die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich – angesichts der Technisierung müsse die vorhandene Arbeit gerechter verteilt werden. Unterm Strich stellt sie Hartz IV an den Pranger als Reform, die den Arbeitsmarkt grundlegend verändert habe mit den heute sichtbaren negativen Folgen. „Wir wollen einen Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit“, betont Tatti und räumt zugleich ein: „Dafür brauchen wir aber Bündnispartner“.
Die Chancen auf einen Einzug in den Bundestag stehen gut für sie. Vorausgesetzt am Wahlabend steht in Baden-Württemberg eine „Fünf“ vor dem Komma könnte sie als Fünfte der Landesliste den Sprung schaffen. Um genügend Zeit für ihren Wahlkampf zu haben, hat sich die Sozialarbeiterin zwei Monate unbezahlten Urlaub genommen.
Die Forderungen, mit denen die Gesellschaft sozial gerechter werden soll, sind gegenfinanziert, betont Tatti. Denn für Vermögen oberhalb einer Million Euro soll nach dem Willen der Linken eine Steuer in Höhe von fünf Prozent erhoben werden. „So stehen 80 Milliarden Euro zur Finanzierung bereit“. Damit ließe sich unter anderem auch bezahlbarer Wohnraum schaffen und die Situation in der Pflege verbessern. „Hier fehlen 100 000 Stellen und Deutschland ist beim Blick auf den Personalschlüssel Schlusslicht in Europa“, kritisierte die Sozialarbeiterin, die 2010 in die Linke eingetreten ist. Schon ein Jahr später gehörte sie dem Kreisvorstand an, ist seit 2013 im Landesvorstand und zudem seit 2014 im Reutlinger Gemeinderat.
„Die Linke ist eine Partei, in der ich meine Überzeugungen vertreten kann“, betont sie. Und das würde sie gern im Bundestag tun. „Die entscheidenden Gesetze müssen auf Bundesebene geändert werden“. Obendrein hat sie sich in Berlin bereits ein paar Tage lang bei einer Abgeordneten den Arbeitsalltag im Parlament erkundet.
Als MdB steht für sie der intensive Austausch mit Gruppen und Institutionen im Wahlkreis ganz oben in der Prioritätsliste. So war sie schon vor der Wahl, um mehr von den Menschen zu erfahren, in Wohnvierteln unterwegs. „Zunächst war ich skeptisch, dann jedoch überrascht, wie viele Menschen bereit waren, mit mir an der Haustür über Politik zu sprechen“.
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