Berufsverbote: »So sind wir hingehalten und getäuscht worden«

In Reutlingen kam es wegen der vielen Lehrerstudenten auch zu vielen Berufsverboten. Auch deshalb wollen wir an die betroffenen erinnern.

Kretschmann war in der Ära von Ministerpräsident Hans Karl Filbinger (CDU) als Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschland gleich zweimal von einem Berufsverbot betroffen. 

Aus: Junge Welt, Ausgabe vom 25.01.2016

»So sind wir hingehalten und getäuscht worden«

Berufsverbote: Vorerst keine Rehabilitierung für Betroffene in Baden-Württemberg. SPD und Grüne stellen sich quer. Ein Gespräch mit Martin Hornung

Interview: Johannes Supe

Martin Hornung engagiert sich in der Initiative »40 Jahre Radikalenerlass«. 1975 wurde ihm eine Laufbahn als Lehrer verwehrt. Er arbeitete in einem Heidelberger Metallbetrieb und wurde Mitglied der IG Metall. Heute ist er Rentner

Baden-Württembergs Regierungsfraktionen wollen die Opfer des sogenannten Radikalenerlasses bis auf weiteres nicht rehabilitieren. Der Rückzieher von Grünen und SPD wurde vergangene Woche bekannt. Was ist da passiert?

Um uns, denen eine Karriere im Staatsdienst wegen ihrer Gesinnung verweigert wurde, zu rehabilitieren, müssten SPD und Grüne einen Antrag im Landtag stellen. In Bremen und Niedersachsen ist das bereits passiert. Wir wissen nun, dass beide Fraktionen das ablehnen – erfahren haben wir das aus einem Artikel der Rhein Neckar Zeitung. Auch eine Entschädigung bleibt damit aus. Erst wollen die Fraktionen eine wissenschaftliche Aufarbeitung abwarten. Doch es sind Akten zu mehr als 2.000 Fällen, die im baden-württembergischen Staatsarchiv liegen. Die Durchsicht könnte Jahrzehnte dauern.

Im Juni 2015 war ein runder Tisch von Betroffenen, SPD und Grünen eingerichtet worden. Wurde Ihnen da nicht ein schneller Entscheid versprochen?

Es haben drei Sitzungen mit drei Abgeordneten der beiden Fraktionen stattgefunden. Sie hielten einen Rehabilitierungsbeschluss für vernünftig. Ich möchte den Abgeordneten auch gar nicht den guten Willen absprechen. Aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen hat ganz anderes verlauten lassen. Zwei Tage vor Weihnachten antwortete er auf einen Brief von Betroffenen. Er schrieb, man müsse Einzelfälle betrachten, eine allgemeine Rehabilitierung könne es nicht geben. Offenbar hatten die Parteispitzen von Grünen und SPD von Anfang an nicht vor, uns zu rehabilitieren. Das passt wohl nicht in die jetzige Vorwahlzeit.

Als im vergangenen Jahr der runde Tisch etabliert wurde, haben Sie bereits mit jW gesprochen. Damals klangen Sie hoffnungsvoll. Was denken Sie nun?

So wie das letztlich abgelaufen ist, war es eine Unverschämtheit. Wir haben den Abgeordneten Darstellungen exemplarischer Fälle übergeben, dazu Vollmachten von über 30 Betroffenen, um deren Akten sichten zu können. Wir überreichten ihnen einen Textentwurf für einen Antrag im Landtag, eine Liste mit Betroffenen, die entschädigt werden müssen. Wir haben auch Vorschläge gemacht, wie die wissenschaftliche Aufarbeitung begonnen werden könnte. Und nun sagt man uns praktisch: Zuerst muss auf die Wissenschaft gewartet werden. So sind wir hingehalten und getäuscht worden.

Es ist nun mehr als 40 Jahre her, dass Ihnen eine Laufbahn als Lehrer verwehrt wurde. Trotzdem scheint Sie das Thema noch immer zu bewegen.

Das vergisst man nicht. Bis heute haben einige Betroffene diese Zeit auch nicht verarbeitet, manche sind verbittert. Wir brauchen eine Entschuldigung, schon um mit diesem Thema abschließen zu können. Und eine Entschädigung ist wichtig für jene, die finanziell getroffen wurden.

Weshalb ist sie dringend?

Es sind einige von Altersarmut betroffen. Ein Kollege wollte damals ebenso wie ich Lehrer werden. Nachdem er das nicht konnte, arbeitete er in einem Heidelberger Metallbetrieb. Doch der schloss seine Türen. Als gelernter Lehrer ohne Arbeitsmöglichkeit fand er keine ordentliche Anstellung mehr. Als Leiharbeiter und mit Hilfsjobs verdiente er danach wenig, zuletzt musste er mit Hartz IV leben. Nun erhält er 583 Euro Rente. Hätte er als Lehrer tätig sein können, wäre er nicht in die Armut gerutscht. Er braucht eine Entschädigung.

Die wollen SPD und Grüne aber auf die lange Bank schieben. Fürchten Sie nicht, dass ein Beschluss für manches Opfer des Erlasses zu spät kommen könnte?

Das ist unsere Sorge. In unserer Initiative sind einige über 70, der älteste ist 80. Zehn Betroffene aus Baden-Württemberg sind bereits verstorben. Es ist also höchste Zeit für eine Entschuldigung. Sonst wird man sie nicht mehr an uns, sondern nur noch an unsere Grabsteine richten können.

Wir werden deshalb nicht aufgeben. Am 17. Februar tritt der Landtag ein letztes Mal vor den Wahlen zusammen. Dann werden wir eine Protestkundgebung abhalten. Einige politische Organisationen und Gewerkschaften wollen uns dabei unterstützen.

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.