Reutlunger Generalanzeiger 07.06.2017
Bundestagswahl – Soziale Gerechtigkeit ist für Linken-Kandidatin Jessica Tatti das Kernthema
VON ULRIKE GLAGE
REUTLINGEN. Ein sonniger Donnerstagnachmittag in der Fußgängerzone. Vor dem Spitalhof steht ein riesiger Plastikhai. Mit »Science City«, wie offenbar manche Kinder meinen, hat er nichts zu tun. Aber mit Politik. Mit linker Politik. »Miethaie aufgepasst – wir beißen zurück« steht auf dem Haibauch: Die Linken machen mit ihrer Aktion auf Mietwucher aufmerksam. Mittendrin die Bundestagskandidatin Jessica Tatti. Mit strahlendem Lächeln verteilt sie Tüten (»Für bissige Mieterinnen und Mieter«) mit Haifisch-Gummibärchen. Viele Passanten lassen sie links stehen. Der Kandidatin macht das nichts aus. Warum auch. Sie ist längst im Wahlkampfmodus. »Ich hab‘ Feuer gefangen«, sagt sie zu ihrer Kandidatur.

Gute Chancen auf einen Sitz im Bundestag: Die Reutlinger Stadträtin Jessica Tatti, die auf der Landesliste ihrer Partei auf Platz 5 steht. Sie kandidierte schon bei der letzten Landtagswahl, bei der die Linke allerdings an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. FOTO: Gerlinde Trinkhaus
Wahlkampf ist für Jessica Tatti nichts ganz Neues: Im vergangenen Jahr war sie Kandidatin der Reutlinger Linken für den Landtag. Die Partei schaffte es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde. Jetzt stehen die Chancen gut – auch für Jessica Tatti, die auf Landeslistenplatz 5 steht. Die 36-Jährige ist als Sozialarbeiterin in einer Flüchtlingsunterkunft in Kirchheim/Teck beschäftigt. Und sie ist Stadträtin. Ihre Zeitpläne, sagt sie, sind jetzt schon »sehr straff«. Die Taktzahl, das ist klar, wird sich weiter erhöhen. Kein Problem für die toughe Reutlingerin. Sie mag den Wahlkampf, sprüht vor Energie und Tatkraft. Schließlich hat sie ein Ziel. »Mir ist klar geworden, dass Politik Lebenswirklichkeit schafft. Ich will dafür kämpfen, dass sich das Koordinatensystem nach links verschiebt und soziale Gerechtigkeit spürbar bei den Menschen ankommt.« Und sie möchte mit den Menschen ins Gespräch kommen. Gelingt das, wie bei der Mietwucher-Aktion, wird schnell klar, dass hinter der zierlichen jungen Frau mit dem charmanten Lächeln eine kämpferische Nachwuchspolitikerin steckt, die mit geballtem Sachverstand und ohne Wenn und Aber ihre linken Positionen vertritt. Beispiel Wohnungspolitik. Sie fordert fünf Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Damit könnten bundesweit 250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr gebaut werden. Jessica Tatti kritisiert den »Kahlschlag« der vergangenen Jahrzehnte im sozialen Wohnungsbau. Mit der Folge, dass es immer schwieriger werde, in den Städten Wohnungen zu einem erschwinglichen Preis zu finden. »Das trifft zunehmend auch mittlere Einkommen.« Sie will sich dafür einsetzen, den gemeinnützigen Wohnungsbau zu stärken. »Wir dürfen Wohnen nicht der Profitgier Privater überlassen. Es ist erwiesen: Der Markt richtet es nicht.« Soziale Gerechtigkeit ist für Jessica Tatti Schlüsselthema. Und das führt direkt zur Arbeitsmarktpolitik, die für sie eine zentrale Rolle spielt. Ihr Studium der Sozialen Arbeit schloss sie mit einer Bachelorarbeit über den Wandel des Arbeitsmarktes ab. »Darüber bin ich zur Linken gekommen.«