19 Jul Das Recht auf soziale Sicherheit – „Tax the Rich“
Das Reutlinger Bündnis für Menschenrechte startete heute eine Veranstaltungsserie – jeden 3. Freitag im Monat.
Wir dokumentieren die Rede der Attac-Vertreterin Katrin Lütjens, die anschaulich und faktenreich die ungleiche
Vermögensverteilung darstellt, die das Recht auf soziale Sicherheit für alle verhindert.
Rede zur Europäischen Bürgerinitiative „Tax the Rich“ Reutlingen 19.07.2024 Ich heiße Katrin Lütjens und begrüße euch im Namen von attac Tübingen-Reutlingen zu dieser Auftaktveranstaltung des Bündnisses für Menschenrechte. Heute stellen wir das Recht auf soziale Sicherheit in den Mittelpunkt. Diese ist verankert im Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Dort heißt es:
„Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit (…) in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
Solange das Vermögen in Deutschland, in Europa und weltweit so ungleich verteilt ist, solange die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander klafft, kann dieses Menschenrecht nicht für alle verwirklicht werden. Mit einer kleinen Aufstellung möchte ich euch zeigen, wie es in Deutschland mit dieser Ungleichheit aussieht. Freiwillige vor – 5 Gruppen zu je zwei Personen. Jede Gruppe stellt 20%, also 1/5, der deutschen Gesellschaft dar. Zur Verfügung stehen 25 goldene Luftballons. Diese stellen das gesamte private Vermögen in Deutschland dar, also Geld, Aktien, Immobilien u.a. Kapital. Ihr dürft nun schätzen, wieviel jede Gruppe bekommt. Richtig ist: Gruppe 1 bekommt 20 Ballons, Gruppe 2 bekommt 4, Gruppe 3 einen, Gruppe 4 und Gruppe 5 erhalten keinen einzigen. Die Hälfte der letzten Gruppe, also fast 1 von 10, hat sogar minus Ballons, ist also überschuldet und kann seine Rechnungen nicht bezahlen. Nun stellen wir uns vor, wie eine gerechte Verteilung aussieht, der Reichtum ist gleichmäßig verteilt, jede Gruppe hat 5 Luftballons. Machen wir also eine UmFAIRverteilung ! Diese schicken wir nun als Wunsch in den Himmel! Zusammen mit einer Message. Wir haben nun gesehen, wie ungleich der Reichtum verteilt ist, aber es kommt noch schlimmer. Auch bei der reichsten Gruppe ist das Vermögen noch ungleich verteilt. Tatsächlich besitzt nur 1% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland 35% des Gesamtvermögens. Europaweit und erst recht weltweit ist das Verhältnis noch viel krasser. Weltweit besitzt das oberste 1% etwa die Hälfte des Vermögens, mit steigender Tendenz. Seit 1980 steigt der Unterschied zwischen Arm und Reich drastisch an. Woran liegt das? Warum sind die Reichen so reich? Sind sie fleißiger? Sind sie intelligenter als die anderen? Können sie besser mit Geld umgehen? Nein, schnell und einfach reich wird man in Deutschland, in dem man erbt! Durch Erbschaft und Schenkungen kommen weit über 90% zu ihrem Reichtum. Die Vermögen der 1000 reichsten Familien sind zu über der Hälfte bereits vor über 100 Jahren entstanden und werden Generation für Generation weiter gegeben. Die Superreichen werden also bereits reich geboren. Durch diese Ungleichheit wird nicht nur das Menschenrecht auf soziale Sicherheit für einen großen Teil der Bevölkerung beschnitten, auch andere Menschenrechte sind davon betroffen. Warum? Die Ungleichheit gefährdet die Demokratie. Einige wenige Menschen können ohne Mandat, ohne Rechenschaftspflicht und ohne Transparenz mit ihrem Vermögen machen, was sie wollen. Nehmen wir als Beispiel Elon Musk, der nun Donald Trump in seinem Wahlkampf massiv unterstützt und der die Meinungsmache X, vormals Twitter, für 1 Milliarde aufkaufen konnte. Die Superreichen entziehen der Gesellschaft wichtige finanzielle Mittel für sinnvolle Investitionen. Statt dessen erhöhen sie den Profitdruck auf die ganze Gesellschaft, indem sie ständig auf der Suche nach profitbringenden Anlagemöglichkeiten auf den Kapital- und Finanzmärkten sind. Und schließlich gefährden sie das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt, indem sie durch ihren Verbrauch unverhältnismäßig viel CO2 ausstoßen und daher mehr als andere zum Klimawandel beitragen. Was kann man dagegen tun? Im wörtlichen Sinne kann man dagegen STEUERN. In Deutschland ist die Vermögenssteuer seit Mitte der 90er Jahren abgeschafft. Und das, obwohl im Grundgesetz eine Vermögenssteuer vorgesehen ist. Das Vermögen wird nicht einmal mehr statistisch erhoben, so dass wir gar nicht so genau wissen, wie reich die Reichen eigentlich sind. Erbschaften und Schenkungen werden kaum besteuert. Gleichzeitig wurde der Spitzensteuersatz auf Einkommen von fast 60% auf heute 42% gesenkt. Das muss geändert werden, wenn wir die Gesellschaft sozial und ökologisch verändern wollen. Wir brauchen eine wirksame Umverteilung, um die extreme Vermögens- und Einkommensungleichheit zu reduzieren. Die Gesetzgebung muss die Steuerlast verlagern, weg von der Arbeit und von niedrigen und mittleren Einkommen hin zu Vermögen, Managergehältern und anderen extrem hohen Verdiensten und Kapitalerträgen. Eine Reform des gesamten Steuersystems ist notwendig. Attac Deutschland schlägt vor: 1. stark progressive Besteuerung von Vermögen und Einkommen mit Erhöhung der Spitzensteuersätze 2. eine Abgabe auf große Vermögen 3. Reform der Erbschaftssteuer 4. Reaktivierung der Vermögenssteuer 5. Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um das Zocken auf den Finanzmärkten einzudämmen 6. Einführung eines Klimageldes zur gerechten Verteilung der Kosten des Klimaschutzes. Hier kommt nun die Europäische Bürgerinitiative ins Spiel, die ich heute vorstellen möchte: Tax the Rich, besteuert die Reichen. Diese Initiative wird von Attac unterstützt und wir hoffen, dass ihr euch alle beteiligt mit euren Unterschriften und Werbung in euren Gruppen und eurem Bekanntenkreis. Was wollen wir mit dieser BürgerInneninitiative? Wir wollen eine europäische Steuer auf große Vermögen. Dazu soll die Europäische Kommission ein Gesetz auf den Weg bringen. Diese Mittel sollen verwendet werden zur Finanzierung des sozialen und ökologischen Wandels UND zur Unterstützung von Ländern, die weltweit vom Klimawandel betroffen sind. Die Bürgerinitiative wurde initiiert unter anderen vom bekannten Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty und von Marlene Engelhorn, die selber Multimillionärin ist und in Österreich die Initiative „Tax Me Now“ gegründet hat. Das zeigt, dass es hier nicht um Sozialneid handelt, da selbst einige Vermögende das Tabu „Über Geld spricht man nicht“ brechen und die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft anprangern. Wohlgemerkt, es geht hier um Vermögen von 5 Millionen aufwärts. Nicht darum, dass Omas Häuschen hoch besteuert wird. Einen weiteren Einwand möchte ich noch entkräften. Wenn von großen Unternehmen behauptet wird, hohe Besteuerung von Betriebsvermögen würde Investitionen in Umweltschutz, Digitalisierung etc. verhindern, dann gebe ich zu bedenken, dass die übergroßen Profite eben oft nicht sinnvoll investiert, sondern auf den Kapitalmärkten verzockt werden. Die EBI „Tax the Rich“ läuft bis zum 9. Oktober 2024 in allen Ländern der EU. Bis dann müssen 1 Million Unterschriften gesammelt werden. Für die einzelnen Länder gibt es Quoren, also eine Mindestanzahl Unterschriften, die in mindestens 7 Ländern erreicht werden muss. In Deutschland wird das Quorum von 67.680 Stimmen voraussichtlich am heutigen Tag erfüllt. Aber die Millionen haben wir noch lange nicht. Also nichts wie ran! Ihr könnt hier am Stand unterschreiben oder online. Damit leistet ihr einen Beitrag zur Erkämpfung des Menschenrechts auf soziale Sicherheit für alle!
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