Fouls endlich ahnden – Geballte Wirtschaftskompetenz in Reutlingen

Nach Peter Bofinger und Norbert Walter referierte im franz.K mit Rudolf Hickel der derzeit wohl kritischste Kopf unter den Ökonomen über Aspekte der Krise.

Es kommt ja nicht allzu oft vor, dass Rudolf Hickel FDP-Chef Guido Westerwelle zustimmt. Doch das in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig wiederholte Credo des liberalen Außenministers und selbsterklärten Fachmannes für spätrömische Geschichte, dass sich nämlich Leistung wieder lohnen müsse, kann auch der Bremer Wirtschaftsprofessor aus voller Überzeugung unterschreiben. Allerdings mit einem bedeutsamen Unterschied.

Während Westerwelle und die Adepten des neoliberalen Mainstreams den Abstand zwischen Niedriglöhnern und Transfergeldbeziehern dadurch zu verbreitern versuchten, indem sie eine Absenkung des Arbeitslosengeld-II-Satzes forderten, verfechte er vielmehr eine Position, die sich für vernünftigere Löhne einsetze, so Hickel. Die Binnenwirtschaft sei nämlich in der Vergangenheit – nicht nur in Deutschland – zu Gunsten einer aggressiven Exportorientierung vernachlässigt worden.

Als Folge lassen sich die Einbrüche im Exportgeschäft nun auch nicht durch den Konsum auffangen. Dies sei einer von zwei grundlegenden Prozessen, die zu dem nun zu beobachtenden neuen Krisentyp, dem „Beinah-Absturz“ des gesamten Weltwirtschaftssystems, geführt hätten. Dessen zweite Seite sei der weltweite und regelfreie Finanzmarkt – „die organisierte Verantwortungslosigkeit“, wie Hickel diesen nennt.

Denn von hier aus verbreiteten die „toxischen“ Geldprodukte aus dem US-Hypothekengeschäft ihre Wirkung über den ganzen Erdball. Die Krise sei somit in erster Linie „das Werk von Finanzalchemisten, die Steine golden anmalen“. Leider gehe dieses zweifelhafte Treiben schon wieder munter weiter. Weshalb auch er begründete Zweifel daran habe, ob der Kapitalismus überhaupt lernfähig sei, sagte der 68-Jährige im voll besetzten franz.K.

Freilich gebe es noch immer solche, die der Meinung seien, der Kapitalismus brauche auch gar nichts hinzuzulernen. Vor allem von der „Beraterökonomik“ sei der freie Finanzmarkt stets als das „Reich der Glückseligkeit“ gepriesen worden. Mit ihren Prognosen hätten sich diese Ideologen des Neoliberalismus aber zutiefst blamiert, wie Hickel pointiert formulierte. „Denen geht es wie Hegel: Schade, dass die Realität dem System nicht folgt.“

Für den langjährigen Rektor des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft wäre dies ja alles noch zu verschmerzen, wenn nur zockende Banker und Millionäre von den Folgen betroffen wären. Doch die Krise der Finanzmärkte werde auch zur Krise der Produktionswirtschaft. Dass die Politik hier – entgegen den sonst üblichen marktradikalen Rezepten – mit Rettungsplänen, Konjunkturprogrammen und Kurzarbeitergeld massiv gegensteuert, begrüßte der Neo-Keynesianer Hickel grundsätzlich. Er fürchte jedoch, dass die Maßnahmen weniger aus Einsicht, als vielmehr aus der materiellen Gewalt der Krise heraus getroffen worden seien.

So brächten Rettungsschirme für Banken nichts, wenn letztere nicht zur Zurückzahlung der Hilfsmittel verpflichtet würden. Das Geld fehle dem Staat nämlich nun wieder an anderer Stelle. Auch bestehe weiter die Gefahr, dass mit der Rettung Schindluder getrieben werde – vor allem wenn die Kontrolle wieder dem gleichen Personenkreis obliege, der schon in den Aufsichtsräten von IKB und Commerzbank gesessen habe.

Allein mit moralischen Appellen an die Banker sei es nicht getan, ist sich Hickel sicher. Die Banken müssten sich wieder auf ihre ureigensten Funktionen beschränken, nämlich Kredite zu vergeben. Und wie beim Fußball müssten auf dem Finanzmarkt feste Spielregeln installiert werden. Denn hier seien „Fouls“ bislang nicht geahndet worden, sondern vielmehr die Regel gewesen.

Südwestpresse vom 19.03.2010

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Pressebericht im Schwäbischen Tagblatt vom 19.03.2010

Leistung muss sich wieder lohnen
Rudolf Hickel sprach vor 150 Zuhörern im franz. K

Nötig sei eine neue Finanzmarktarchitektur. „Und was passiert? Nichts!“ Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Rudolf Hickel sprach im franz. K vor 150 Zuhörern.
Reutlingen. „Das Bankensystem in toto ist ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit geworden.“ Hickel fand Dienstagabend markige Worte zur Wirtschaftskrise, warf den vielen Beratern der Regierung komplettes Versagen vor. Lob äußerte er für die staatlichen Konjunkturpakete und den Bankenrettungsfonds – allerdings müssten die Banken das jetzt wieder zurückbezahlen. Eine Sonderabgabe für Banken sei „ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie“.

Es war die zweite Veranstaltung einer neuen politischen Reihe von Gewerkschaften, Attac, Sozialforum, Vhs: „Wir könn(t)en auch anders.“ Oder: „Wir müssen auch anders“, wie Organisator Karl Grüner und Verdi-Chef Martin Gross den 150 Gästen erklärten.

Es ging um die Lernfähigkeit des Kapitalismus‘. Hickel, der in Bremen das Institut Arbeit und Wirtschaft leitet, analysierte die große Krise. Eine weltweite Konjunkturkrise sei von der Finanzmarktkrise überlagert worden. Die Konjunkturkrise sei auch dem schwachen privaten Konsum geschuldet – eine Folge von sinkenden Reallöhnen, wachsendem Niedriglohnsektor und Sozialumbau. An der Finanzmarktkrise trügen die Grünen Mitverantwortung – sie hätten während ihrer Regierungsbeteiligung dazu beigetragen, die Finanzmärkte „aggressiv zu deregulieren“.

„Die Politik hat sich makro-ökonomisches Denken abgeschminkt“, kritisierte der 68-Jährige, der 1962 bis 67 in Tübingen Volkswirtschaft studiert hat. 6,5 Millionen Menschen oder 23 Prozent der Beschäftigten arbeiteten im Niedriglohnsektor, die Hälfte verdiene unter fünf Euro. „Das geht so nicht“: Hickel meinte auch die Zunahme der „prekären“ Jobs und der Leiharbeit. Mit Außenminister Westerwelle forderte er: „Leistung muss sich wieder lohnen“ – aber eben auch für prekär Beschäftigte. Deshalb warb der Wirtschaftswissenschaftler für eine „Re-Regulierung der Arbeitsmärkte“ und für Mindestlöhne. Lohndumping mache die Motivation der Beschäftigten kaputt. Hartz IV sei „ein schwerer Fehler“ gewesen – die Zumutbarkeitsregelung vernichte Qualifikation und Motivation.

Er geißelte den „Raubtier“- und „Kasino-Kapitalismus“. „Man hat geglaubt, wenn man Steine anmalt, dass das auch Gold ist.“ Finanzkonzerne eigneten sich die Macht über wertschöpfende Produktionsunternehmen an – Hickel schimpfte auf Investmentbanker und Analysten, die auf Teufel komm raus hohe Renditen rauspressen wollten: „Das ist die Perversion.“ Gefordert sei eine neue Finanzmarktarchitektur, stattdessen werde schon wieder gezockt und spekuliert, etwa auf die Pleite Griechenlands.

Mit dem US-Volkswirt Paul Krugman verlangte Hickel: „Make banking boring“ – Bankgeschäfte sollten wieder langweilig werden. „Da ist das Foulen zum Prinzip geworden, deshalb brauchen wir Spielregeln.“ Der Professor warnte vor restriktiver Geldpolitik, forderte, den privaten Konsum zu stärken. Nötig seien Vermögens- und Finanz-Transaktionssteuer. Steuersenkungen „machen Ökonomie und Gesellschaft kaputt“. Die Regierung solle stattdessen Privilegien abbauen. Die Ermäßigung für Hoteliers sei „ein Schlag ins Gesicht einer Politik, die für Steuergerechtigkeit einsteht“.

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