Geschundenes Grundrecht

StrohschneiderTom Strohschneider (Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“) über den nächsten Schlag der Großen Koalition gegen das Asylrecht und die Obergrenze von GlaubwürdigkeitWie lange kann man ein Grundrecht eigentlich noch als solches bezeichnen?

»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«, heißt es in der Verfassung – doch seit 1993 ist dieses zuvor fast einzigartige Bekenntnis immer weiter unterhöhlt worden. Die Zustimmung des überwiegenden Teils der Großen Koalition zu den neuesten »Änderungen« lässt von einem menschenrechtlich fundamentierten, nicht tagespolitischer Opportunität geopferten Asylrecht nun also noch weniger übrig. Was bleibt überhaupt?

Das Anti-Asylpaket, das überall beschönigend als Asylpaket bezeichnet wird, enthält praktisch keine einzige Maßnahme, die der Idee des Asylrechts folgt – dafür werden umso mehr Möglichkeiten eröffnet, um die Aufnahme von Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Not fliehen, zu behindern oder gar auszuschließen.

Nach dem »Asylkompromiss« von 1993, der ein Kompromiss gegen das Asylgrundrecht war, nun also in kurzer Folge immer neue gesetzliche Attacken, die nächste Ausweitung der Liste angeblich sicherer Herkunftsstaaten steht ja auch schon vor der Tür. Geflüchteten wird mit dem Anti-Asylpaket eine klare Botschaft übermittelt: Ihr seid nicht willkommen.

Wer auf Eilverfahren setzt, die eine faire und rechtsstaatliche Bearbeitung von Asylanträgen unterlaufen; wer Abschiebelager ermöglicht, wer Familien trennt und damit Angehörige auf die tödlichen Fluchtrouten zwingt, wer faktisch die Schutzbedürftigkeit von Menschen an das Vorhandensein von Passdokumenten koppelt, wer traumatisierte oder kranke Menschen in Bürgerkriegsländer abschieben will – der sollte fortan von Menschenrechten und Solidarität schweigen.

Dass 30 SPD-Abgeordnete im Bundestag gegen das Anti-Asylpaket gestimmt haben, ist zu begrüßen. Wahr ist aber auch: Die Frage des Asylrechts ist eine grundsätzliche und damit auch eine der Grenzen der Geduld gegenüber der eigenen Parteimitgliedschaft. Es geht um die eigene Haltung zu dem Anspruch einer Gesellschaft, Menschen in Not zu helfen – auch wenn es einmal besonders viele sind. Die Ausrede, »echte« Kriegsflüchtlinge und »wirklich« politische Verfolgte könnten weiterhin kommen, ist angesichts dessen, was wir über den Verbleib von Abgeschobenen und die Lage von Menschen in angeblich »sicheren Herkunftsstaaten« wissen, schon lange zur beschämenden Lüge geworden. Die SPD ist eine der Parteien, die diese Unaufrichtigkeit zu verantworten haben.

Und die Grünen? Gut, dass die Bundestagsfraktion geschlossen gegen das Anti-Asylpaket votiert hat. Doch auch hier gilt: Wo endet die Glaubwürdigkeit dieses Neins? Wohl spätestens, so ist es zu befürchten, im Bundesrat, wo eine grüne Landesregierung den Weg endgültig für ein Gesetz freimachen wird, von dem der Bundesinnenminister offen sagt, es diene der Abschottung und dem Wegschicken von Menschen. Ein Gesetz, das dazu beiträgt, eines der Grundrechte der Verfassung endgültig zu zerstören.

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