Haushaltsrede von Thomas Ziegler im Kreistag am 14.12.2016

Thomas Ziegler

Thomas Ziegler

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Landrat,
die heutige Haushaltsdebatte wird – die Beiträge meiner Vorredner haben es bereits anklingen lassen – eine für langjährig gewohnte Übungen einigermaßen singuläre Thematik aufweisen:
Das Ansinnen aus Reihen nicht unmaßgeblicher politischer Kräfte unseres Gremiums auf Anhebung der Kreisumlage über den Vorschlag des Verwaltungsentwurfs hinaus!
Nicht nur werden wir Kreisräte der Linken die uns dazu heute vorliegenden Anträge mittragen – die Sanierung, also dringend notwendige Gesundung des Reutlinger Kreishaushalts ist uns seit jeher ein dringliches, wenn auch – mit Blick auf den Hebesatz der Kreisumlage – bisher eher einsam verfolgtes politisches Anliegen.
Im föderalistischen Aufbau unseres Staates kommt sämtlichen Gebietskörperschaften – also Bund, Ländern und Gemeinden – ein eigenständiges Recht auf selbstverantwortete Einnahmen zu; lediglich die Landkreise bleiben – abgesehen von der marginalen Grunderwerbsteuer – davon ausgeschlossen.
Die Stadt Reutlingen bspw. bestreitet die Einnahmen ihres Ergebnishaushalts zu recht genau 50 % aus Steuereinnahmen in Höhe insgesamt 160 Mio. €. Dazuhin verfügen die Gemeinden bekanntlich über ein eigenes Steuerfindungsrecht.
Der Landkreis Reutlingen muss sich demgegenüber zu knapp 37 % aus der Kreisumlage finanzieren; seine eigenen Einnahmen aus Grunderwerbsteuer umfassen gerade einmal 4 %.
Die Landkreise hängen damit ebenso strukturell wie stetig in unverhältnismäßigem Umfange am Tropf ihrer Gemeinden. Die Ergebnisse daraus können gerade an unserem Landkreis festgemacht werden: wir sind, obwohl mit einer der vergleichsweise geringsten Personalausstattung versehen, der am dritthöchsten verschuldete Kreis in ganz Baden-Württemberg.
Führen wir uns vor Augen: Seit Jahren beraten wir über eine funktionale Beherbergung unserer Verwaltung. Als jüngere Ergebnisse bildet sich heraus, dass unser Kreis sich zu einem Neubau für seine herzhaft verstreute Verwaltung schlicht in keiner Weise in der Lage sehen wird. In erster Linie die Anmietung von Räumen bei privater Seite steht im Blickfeld mit der Folge, dass anschließend unsere Kreisimmobilien – ganz überwiegend in der hochattraktiven Reutlinger Oststadt – zur Verwertung, also wohl Veräußerung anstehen müssten.
Welche Gemeinde aus unserem Landkreis wollte sich ernsthaft zumuten, ihr Rathaus verkaufen zu müssen und ihre Verwaltung bei Privaten zur Miete unterzubringen?
Bei gelegentlichen Empfängen, etwa zuletzt unseres Ministerpräsidenten, pflegt Landrat Reumann unseren Landkreis gern als „den schönsten im Land“ vorzustellen.
Diese Charakterisierung ist in ihrem Einfallsreichtum steigerungsfähig.
Mit anderen Worten: Unser Landkreis bedarf verstärkt der Profilierung.


Unser Biosphärenreservat etwa nimmt erkennbar Fahrt auf und eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung.
Die ersten, für unseren Landkreis deutlich erkennbaren Früchte daraus bedürfen jetzt aber der weiteren Veredelung, etwa in Richtung Flankierung von Wirtschaftsförderung samt Unternehmensgründungen sowie Vernetzung mit kulturellen Angeboten.
Als weitere Denkanstöße:
Welcher Landkreis vermag derart attraktive kommunale Infrastrukturen aufzuweisen wie etwa ein Kreisklinikum mit drei über den Kreis verteilten Häusern, darunter ein Haus der Zentralversorgung als Lehrkrankenhaus einer Universitätsklinik?
Welcher Landkreis kann derart kulturelle Highlights aufbieten wie unser Reutlinger mit etwa der Württembergische Philharmonie, einer ganzen Theaterlandschaft mit mehreren namhaften Bühnen nebst in Kürze Theaterhaus oder das inzwischen überregional hochrenommierte franz. K?
Als eine der vor uns liegenden Aufgaben bietet sich deshalb geradezu an, diese Kulturangebote aus eher städtischen Bereichen zum wechselseitigen Austausch und Vorteil zu verknüpfen und zu vernetzen mit jenen, die sich aus dem eher ländlichen Raum heraus erfreulich erfolgreich entwickelt haben.
Genau darauf zielt einer unserer Haushaltsanträge – die für die heutige Beratung erneut aufgerufen bleiben – zur (einstiegshalber) Anhebung des Personals sowie der Sachmittel im Kulturbereich des Landratsamtes. Es wäre sehr zu wünschen, dass diesem Anliegen heute höherer Zuspruch widerfährt als in den vorausgegangen Vorberatungen.

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Die wechselseitige Vernetzung von eher ländlichem Raum mit unseren Zentren ist in hohem Maße abhängig von attraktiven Verkehrsverbindungen.
In nördlicher Nachbarschaft unseres Landkreises erfreuen sich – in ihrer Bedeutung durchaus überschaubare – Kommunen wie Weil der Stadt, Marbach am Neckar oder Kirchheim/Teck S-Bahnanschlüssen im 20-Minuten-Takt, in den Tälern des Schwarzwalds kurvt die Ortenau-S-Bahn, Bodensee und Hochrhein sind mit attraktiven Schienen-Verbindungen gesegnet, selbst in den Tälern des Schwarzwaldes kurvt die Ortenau-S-Bahn – während durch unsere Landschaft eine Handvoll Dieseltriebwagen und ansonsten Busse tuckern.
Uns ist wohl bewusst, dass das GVFG in Berlin einer weniger zögerlichen Umsetzung bedurft hätte und zudem die allfälligen Auskünfte aus Stuttgart gelegentlich deutlich verbindlicher hätten erteilt werden dürfen;
dennoch: die schnellstmögliche Realisierung der Regionalstadtbahn bleibt für unsere Region, so sie wirtschaftlich nicht regelrecht „abgehängt“ werden will, strikt unverzichtbar. Unser Landkreis und dieses Projekt, werte Kolleginnen und Kollegen, vertragen keinerlei ängstliches Zaudern mehr!
Meine Damen und Herren,
wir geniessen das Privileg, auf einem der wohl entwickeltsten Kontinente dieser Erde leben zu dürfen, innerhalb Europas in einem der wirtschaftsmächtigsten Staaten, innerhalb der Bunderepublik in einem Bundesland, das zu den wenigen zählen darf, die Beiträge in einen Länderfinanzausgleich beisteuern können, und innerhalb Baden-Württemberg wiederum zählt unser Landkreis zu einer wirtschaftlich nicht minder prosperierenden Region.
Diesem aus volkswirtschaftlicher Sicht ausgesprochen hohen, aus sozialer Sicht aber leider immer weniger gerecht verteilten Wohlstand gilt deshalb unser vornehmstes Bestreben als Linke: nämlich die vorhandenen – für alle Menschen eigentlich durchaus auskömmlich zur Verfügung stehenden Mittel – fair zu teilen.
Zum einen nach „innen“:
Dass etwa für die Mobilität eines Kreisbürgers, der auf den Bezug von Leistungen ALG II angewiesen bleibt, aus dessen Regelsatz monatlich lediglich ein Anteil vorgesehen ist von 25,45 €, schreit zum Himmel:
Die Monatskarte für eine Naldo-Wabe kostet demgegenüber € 53,80, das Naldo-Tagesticket für einen Erwachsenen immer noch € 4,00 –
und dies für Menschen aus unserem Kreis, für die Busse und Bahnen häufig das einzige Fortbewegungsmittel bleiben müssen.

Das Sozialticket, wie von uns Linken erneut für diesen Kreishaushalt weiter beantragt und in anderen Regionen längst bewährt, würde – als nur ein Beispiel – unerträglichen und regelrecht inhumanen Missständen dieser Art endlich ein Ende setzen.
Soziale Mitverantwortung ferner nach „außen“:
Die Aufnahme der Flüchtlinge hat nicht nur unsere Landkreisverwaltung sowie unsere Gemeinden vor bedeutende Herausforderungen gestellt –
die Bewältigung dieser in jenem Umfang kaum vorhersehbaren Aufgabe durfte zahlreiche übliche Vorurteile Lüge strafen;
Unser Gemeinwesen verfügt sehr wohl über eine derart strukturierte und durchaus handlungsfähige Ordnung und Exekutive, um sich selbst dieserart anspruchsvollen Aufgabenstellungen mit nahezu umfassendem Erfolg annehmen zu können. Mit hoher Genugtuung haben wir Kreisräte erfahren dürfen, mit welchem Engagement und welcher Einsatzfreude sich die Mitarbeiter unseres Landkreises eingesetzt haben, um unseren Flüchtlingen eine wenigstens einigermaßen erträgliche und verantwortbare Aufnahme zu ermöglichen – an dieser Stelle gilt etwa Herrn Dr. Müller samt dessem verantwortlichen Stab sowie nicht zuletzt unserem Landrat unser ausdrücklicher Dank!
Und mit mindestens ebenso hoher Genugtuung durften wir erfahren, wie sich Gemeinden und dort wiederum vor allem eine engagierte Bürgerschaft unseres Landkreises es sich nicht haben nehmen lassen, die Hilfsbedürftigkeit der dort ankommenden Flüchtlinge zu ihrem ureigensten Anliegen zu machen.
Diesen Stolz werden wir uns nicht nehmen lassen – und zu allerletzt von jenen, die sich als Rassisten im Gewand des Biedermannes unentwegt als Spalter und Brandstifter an unserem Gemeinwesen versuchen!
Zusammengefasst: unser Landkreis verfügt über umfangreiche, durchaus hochattraktive Potentiale. Jene nicht lediglich weiter zu verwalten, sondern sie verstärkt zu heben, sollte unsere maßgebliche Aufgabe als verantwortliche Entscheidungsträger dieses Landkreises bilden. In diesem Sinne hoffen wir Kreisräte der Fraktion DIE LINKE auf eine unverzagte, entscheidungsfreudige Beschlussfassung über den Haushalt für das Jahr 2017.

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