Jessica Tatti: Hinsehen und was bewegen

Landtagswahl – Powerfrau Jessica Tatti (Die Linke) setzt sich mit Vehemenz für soziale Gerechtigkeit ein

GEA 20.02.2016 von Ulrike Glage

Steht in der Politik ihre Frau: Jessica Tatti (links), Kandidatin der Linken. FOTO: Gerlinde Trinkhaus

Steht in der Politik ihre Frau: Jessica Tatti (links), Kandidatin der Linken. FOTO: Gerlinde Trinkhaus

»Ach, da bin ja ich«, sagt die linke Landtagskandidatin Jessica Tatti, als sie ein Wahlplakat mit ihrem Konterfei an der Konrad-Adenauer-Straße entdeckt. Es ist noch nicht lange her, dass die Plakate aufgehängt wurden. Trotzdem fehlen schon einige. Ihre Wahlhelfer rätseln, ob sie von den Rechten oder von Verehrern abgehängt wurden: Jessica Tatti ist unstrittig das attraktivste Gesicht im Wahlkreis 60. Das ist ihr allerdings wurscht. Der 34-Jährigen geht es um politische Inhalte. Und die vertritt die grazile Reutlingerin mit Härte und Beharrlichkeit. Auch jetzt, mitten im stressigen Wahlkampf. »Ich hab’ ganz viel Power. Und es macht Spaß.«

Podiumsdiskussionen, Info-Stände, Besuche vor Ort, Aktionen – und drei Tage in der Woche nach Kirchheim/Teck, wo die Sozialarbeiterin Jessica Tatti Flüchtlinge in einer großen Gemeinschaftsunterkunft berät. Ein strammes Programm. Heute ist Pro Labore dran. Geschäftsführer Manfred König begrüßt die Kandidatin und ihren Wahlkampfhelfer, den Kreisvorsitzenden der Linken Rüdiger Weckmann. »Manfred, wir haben uns ja schon öfter gesehen bei der Arbeiterbildung«, sagt Jessica Tatti, »aber hier war ich noch nie.« Bei Butterbrezeln und Kaffee im kleinen Büro erklärt König die Strukturen der gemeinnützigen Arbeitsgesellschaft, berichtet vom schwierigen Überlebenskampf.

Jessica Tatti hört aufmerksam zu, stellt immer wieder Fragen, macht sich Notizen. Bei Pro Labore werden Menschen qualifiziert, die kaum Chancen haben auf dem Arbeitsmarkt. Ein ur-linkes Thema. »Die Situation für Langzeitarbeitslose hat sich drastisch verschlechtert, vor allem für Ältere. Es gibt genügend, die wollen was machen und man gibt ihnen keine Möglichkeit«, redet sich König in Rage.

Tatti nickt. Schließlich geht’s um ihr Kernthema: soziale Gerechtigkeit. Der Arbeitsmarkt spielt da eine wichtige Rolle. Befristungen und Leiharbeit müssen gestoppt werden, fordert sie. Ihr Ziel: Sichere Arbeitsplätze, gute Löhne, ein Recht auf Bildung. Das Land müsse mit gutem Beispiel vorangehen. »Sichere Beschäftigung gehört in allen Bereichen gefördert.«

Natürlich kommt das Gespräch auch auf Flüchtlinge. Die vielen Zufluchtsuchenden, sagt Jessica Tatti, hätten die soziale Kluft deutlich sichtbar gemacht – da gewesen sei sie schon vorher. Beim sozialen Wohnungsbau würden jetzt zwar Dinge angestoßen. Grün-Rot sei aber zu spät aus den Startlöchern gekommen. Entschiedene Schritte seien notwendig, um preiswerte Wohnungen zu schaffen – und zwar »für alle Menschen, die sie benötigen«.

Man ist sich einig. »Des gfällt mir«, sagt Manfred König im Verlauf des Treffens, für das sich Jessica Tatti über eine Stunde Zeit nimmt.

Mit den Menschen ins Gespräch kommen, sich auseinandersetzen, für ihre Position und die der Linken werben – trotz aller Anstrengungen des Wahlkampfes gefällt das der Newcomerin in Sachen Landtagskandidatur. »Das ist ja keine verlorene Zeit.« Sie erlebe viel positiven Zuspruch. Auch beim Thema Flüchtlingspolitik. »Wir sind die einzige Partei, die nicht wackelt. Für uns ist das Asylrecht unantastbar«, meint Rüdiger Weckmann. Die Linke sei aber nicht die Partei, die sage, »schön, dass so viele kommen müssen«, stellt Jessica Tatti klar. »Wir setzen uns dafür ein, dass die Fluchtursachen bekämpft werden.«

Die 34-jährige Landtagskandidatin mit italienischen Wurzeln hängt sich mit viel Temperament und noch mehr Energie ins politische Geschäft. »Ich kämpfe dafür, dass die Linke den Einzug in den Landtag schafft. Wir halten das für möglich.« Junge Menschen möchte sie ermuntern, zur Wahl zu gehen.

Mit Blick auf die AfD hofft sie, dass deren Beiträge in den aktuellen Diskussionsrunden »den Menschen die Augen öffnen und sie sich am 13. März für eine demokratische Partei entscheiden«. Tatti selbst ist zwar die Jüngste bei den Kandidaten-Podien, zeigt dabei aber klare Kante und legt eine erstaunliche Coolness an den Tag.

Als sie 2010 nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit in Ludwigsburg in die Achalmstadt zog, beschäftigte sie sich schon intensiv mit Politik. Die Theorie allein reichte ihr aber nicht mehr. »Mir ist klar geworden, dass Politik Lebenswirklichkeit schafft. Und ich möchte für eine solidarische Gesellschaft kämpfen.« Deshalb wurde sie aktiv, fand ihre politische Heimat bei den Linken. Dass sie 2014 auf Anhieb den Sprung in den Gemeinderat schaffte, überraschte sie selbst. »Bereut habe ich das nie, auch wenn’s manchmal zäh ist.«

Etwas bewirken zu können, das macht für Jessica Tatti auch den Mehrwert ihrer Arbeit mit den Flüchtlingen aus. Trotz stressiger Umgebung macht sie die »sehr gerne«: »Ich lerne so viel in der Begegnung mit diesen Menschen.« Und sie könne helfen mit ihrem Wissen als Sozialarbeiterin. Wegschauen, das sei nicht ihr Ding. »Wer wegschaut, kann nichts bewegen.« (GEA)

Die Kandidatin

Geburtstag/Geburtsort: 22. April 1981, Marbach am Neckar

Konfession: Evangelisch

Wohnort: Reutlingen

Familienstand: Ledig

Beruf: Sozialarbeiterin

Derzeitige wichtige politische Ämter: Stadträtin für die Linke Liste Reutlingen seit 2014, Landesvorstandsmitglied Die Linke Baden-Württemberg seit 2013, Kreisvorstandsmitglied Die Linke Kreisverband Reutlingen seit 2011

Aktuelle Buchlektüre: »Im Rausch des Geldes« von Rana Dasgupta und »Der Herr der Fliegen« von William Golding

Lieblingsfilm: Matrix

Lieblingsmusik: Ein breites Spektrum an elektronischer Musik, Jazz, Buena Vista Social Club, Nneka, Carl Philip Emanuel Bach, Pink Floyd

Lieblings-TV-Sendung: Ich sehe fast nie fern

Hobbys: Schwimmen, ins Kabarett oder Theater gehen

Bevorzugtes Fortbewegungsmittel: Meine Beine

Vorbild: Jean Ziegler

Zentrales politisches Anliegen in einem Satz: Ich kämpfe für eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus, in der soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität als grundlegende Werte gelten

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