24 Mai Jessica Tattis Kundgebungsrede am 20. Mai
Liebe Reutlingerinnen und Reutlinger, Freundinnen und Freunde,
unsere Stadt befindet sich in Planung und Beschluss von Möglichkeiten der Anschlussunterbringung für Flüchtlinge in unserer Stadt. Und sie befindet sich auf dem Holzweg.
Am 28. April 2015 hat der Gemeinderat gegen unsere und die Stimmen der Grünen & Unabhängigen die Anschlussunterbringung in Mehrbettzimmern in der ehemaligen Ypernkaserne beschlossen.
Trotz Fehlen wichtiger Entscheidungsgrundlagen:
Warum werden die leerstehenden Gebäude auf dem Yperngelände nicht in die Planungen miteinbezogen, um geeignete Wohnformen zu planen? Falls davon in den ehemaligen Kasernen für die Anschlussunterbringung überhaupt die Rede sein kann.
Wie wird die Sozialbetreuung in der zukünftig großen Unterkunft von über 120 Personen gewährleistet?
Eine gute Sozialbetreuung ist in Gemeinschaftsunterkünften unverzichtbar! Aber inwieweit ist der Landkreis gewillt, das erforderliche Fachpersonal zu finanzieren, wenn es die Stadt ist, die diesen Bedarf erzeugt?
Die Anschlussunterbringung für Flüchtlinge ist Pflichtaufgabe der Stadt.
Sie muss Wohnraum zur Verfügung stellen, wenn es nicht gelingt auf dem Wohnungsmarkt eine preislich geeignete Wohnung zu finden.
Wir haben nicht zu viele Flüchtlinge. Wir haben zu wenig preiswerten Wohnraum für Teile der Einwohner_innen der Stadt, darunter auch geflüchtete Menschen.
Nicht nur wir, auch der städtische Integrationsrat und die Asylkreise haben sich öffentlich von Gemeinschaftsunterkünften in der Anschlussunterbringung distanziert. Aus guten Gründen:
Keine Privatsphäre, keine Tür, die man hinter sich zumachen kann, Dutzende Menschen, die sich eine Küche und ein Badezimmer teilen. Hier sollen sie eine neue Sprache lernen, Hausaufgaben machen, früh morgens aufstehen, wo man nachts keine Ruhe fand und sich von den Strapazen einer Flucht erholen. Geballt zu vielen, wo längst eine Integration in die Stadtgesellschaft stattfinden könnte.
Sammelunterkünfte stehen der Integration diametral entgegen und sie sind die schlecht möglichste Form der Anschlussunterbringung überhaupt!
Sie sind kein Ausdruck einer großartigen Verantwortung die wir in Reutlingen übernehmen würden. Sie sind einfach nur das, wozu man ohnehin gesetzlich verpflichtet ist.
Wir haben alle gehört wie sich diejenigen fühlen, die in den Gemeinschaftsunterkünften wohnen, Menschen die vor Krieg, Krise und Not geflohen sind.
Und die Stadt antwortet durch ihre Beschlüsse damit, dass ihr Leben auch nach zwei Jahren bzw. nach Abschluss des Asylverfahrens für unbestimmte Zeit in Sammelunterkünften weitergehen soll?
Da läuft was gründlich schief! Wir werden das nicht mittragen.
Zudem birgt diese Form des Wohnens Konfliktpotential nach innen und außen:
Ballungsräume und Ghettoisierung sind ein Nährboden für die Ablehnung von geflüchteten Menschen und Wasser auf den Mühlen von Alltagsrassismus, AfD, Pegida und Co. Wir wollen das in Reutlingen nicht haben!
Die Stadtverwaltung plant weitere Gemeinschaftsunterkünfte mit Mehrbettzimmern. Morgen wird der Gemeinderat über den Neubau im Hammerweg entscheiden.
Im Gegensatz zum Umbau der Ypernkaserne wird dieser Neubau Millionen kosten. Geld, das wir gerne ausgeben, um Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen, aber es müssen mindestens Einzelzimmer möglich sein!
Für den Hammerweg soll jetzt nicht einmal die Landesförderung beantragt werden, die 10 qm Wohnraum pro Person fordert. Einfach damit man noch mehr Personen auf weniger Fläche unterbringen kann.
Der Übergang von der vorläufigen in die Anschlussunterbringung muss einen Mehrwert für die Menschen bringen und darf nicht reiner Verwaltungsübergang vom Landratsamt zur Stadtverwaltung sein!
Und sie muss vor allem mehr bieten als das viel beschworene „Dach über dem Kopf“. Es handelt sich um Menschen, die schon seit zwei Jahren hier leben oder sogar schon als Flüchtlinge anerkannt sind.
Flüchtlinge sind v.a. nach der vorläufigen Unterbringung in den Landkreisen keine Sondergruppe, die Sonderwohnräume braucht. Sie sind normale Bewerber_innen am Wohnungsmarkt und gehören zu weiteren, die von Sozialleistungen und geringem Erwerbseinkommen leben!
Sie alle sind Teil unserer Gesellschaft mit einem erzeugten Problem auf dem Wohnungsmarkt!
Vor allem sind sie aber Einwohner_innen unserer Stadt und sollen mitten unter uns leben. Genau das ist doch der Inbegriff für Integration und hat positive Auswirkungen auf andere bedeutende Bereiche wie Sprache, Arbeit und Schule – durch selbstverständliche Kontakte nach außen.
Wir brauchen jetzt preiswerten Wohnraum in Innenstadt und Innenstadtnähe, um den Bedarf – nicht nur aber auch für Flüchtlinge – zu decken. Das Wohnen ist das Fundament für das, was wir Willkommenskultur nennen. Sie muss mehr sein als ein Lippenbekenntnis!
Nein zu Mehrbettzimmern in der Anschlussunterbringung!
Ja zum sozialen Wohnungsbau in Reutlingen und Ja zur Integration in unsere städtische Gesellschaft!
Sammelunterkünfte dürfen nicht Modell für das Wohnen von Flüchtlingen in Reutlingen werden. Um das laut zu sagen, dazu sind wir heute hier!
Jessica Tatti
Stadträtin LINKE LISTE Reutlingen
DIE LINKE. Kreisverband Reutlingen
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