»Keine Ausreden mehr für die Grünen«

GEA-Lerbrief zum Artikel »Überzeugt wie eh und je« vom 6. Juni

Thomas Müller

25 Jahre nach der S-21-Projekt-Vorstellung trafen sich vier ältere Herren, die noch einmal daran erinnern wollten, wie großartig ihre Idee war, Stuttgart 21 auszurufen. Und nach wie vor stehen sie dazu. Sie sind laut GEA »überzeugt wie eh und je«. Diese Herren und ihr Projekt entstammen einer Zeit, als grenzenloses Wachstum ohne Rücksicht auf natürliche Grenzen, Umwelt- und Klimabelastungen noch wenig infrage gestellt wurde.

Es gab schon immer viele Gründe, für den Erhalt des Kopfbahnhofes und für einen sofortigen Baustopp einzutreten. Ein ganz aktueller Grund ist die Klimabilanz von Stuttgart 21. Stuttgart 21 ist das umwelt- und klimaschädlichste Infrastrukturprojekt weit und breit. Der Bau aller Komponenten von Stuttgart 21, der Betrieb dieser Anlagen und der Zugverkehr in den Tunneln, sind zusammen für fast zwei Millionen Tonnen Treibhausgas verantwortlich. Das entspricht in etwa der Menge des Kohlendioxids, das alle Stuttgarter Autos in sechs Jahren in die Luft blasen. Dies ist das genaue Gegenteil dessen, was angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu tun wäre, nämlich Treibhausgas aus der Luft zu entfernen.

Weil der für Stuttgart geplante Tunnelbahnhof mit nur acht Gleisen weit weniger Züge bewältigen kann als der Kopfbahnhof, der 17 Gleise hat, können in Zukunft im Großraum Stuttgart viele Fahrten gar nicht mehr mit dem Zug stattfinden, sondern müssen auf das Auto verlagert werden. Diese Autos stoßen, wenn sie nicht gerade im Stau stehen und den Motor ausgeschaltet haben – je nach Szenario – zwei bis vier Millionen Tonnen an Treibhausgas zusätzlich zu den bereits genannten zwei Millionen Tonnen aus, und zwar im Laufe von 30 Jahren.

Doch noch ist der Tiefbahnhof nicht gebaut. Es gibt wieder Hoffnung. Es grünt zurzeit so grün wie noch nie in Deutschland und vor allem auch in Stuttgart und Umgebung. Nach ihrem Wahlerfolg sind die Grünen in der klimapolitischen Poleposition, sie müssen und können jetzt ernst machen und den in sie gesetzten Erwartungen gerecht werden. Die Grünen profitieren in diesen Tagen von ihrem in Oppositionszeiten erworbenen Ansehen als Umweltpartei. Wer Klimaschutz wollte, wählte grün. Nirgendwo in der Republik verfügen die Grünen über so eine Machtfülle wie in Stuttgart und Baden-Württemberg: grüner Oberbürgermeister, grüner Ministerpräsident, grüner Verkehrsminister, grüner Regierungspräsident, grüne Mehrheiten in vielen Kommunalparlamenten und im Landtag.

Die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD, die für Stuttgart 21 die politische Hauptverantwortung tragen, liegen am Boden. Nun kann es keine Ausreden mehr für die Grünen geben, sich nicht mit der größten klimapolitischen Hypothek dieser Stadt auseinanderzusetzen.

Ministerpräsident Kretschmann sang mit Kanzlerin Merkel das »Hohelied« auf den Diesel. Doch das war »gestern«. Inzwischen bezeichnet Verkehrsminister Hermann Stuttgart 21 als »größte Fehlentscheidung in der Eisenbahngeschichte«. Die Grünen werden sich doch hoffentlich von der neuen Radikalität der Klimabewegung anstecken lassen: »Act now« heißt es bei »Fridays for Future« – jetzt loslegen. Bedeutet für Stuttgart: Jetzt den Klimanotstand ausrufen und eine Klimabilanz von S 21 aufstellen, bevor weiter gebaut wird! »Umstieg 21« bleibt ein machbarer Türöffner für den Ausstieg aus S 21 und die einzige klimafreundliche Alternative.

Thomas Müller, Reutlingen

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