Klima retten durch Verzicht?

Zwischen individueller Betroffenheit und Politik

Es weht ein neuer Geist in der Klimadebatte: Was soll der Beitrag jedes Einzelnen/ jeder Einzelnen sein bei der Bewältigung des Klimawandels?

Sollen wir verzichten, anders konsumieren und durch individuelle Verhaltensänderungen zur Lösung des Klimaproblems beitragen? Und: In welchem Verhältnis stehen individuelle Konsumentscheidungen zu anderen Maßnahmen der CO2 Reduktion?

Oder mit den Worten einer Reutlinger Rednerin von Fridays for Future: „Wir müssen uns mit dem Thema Verzicht anfreunden. Unser Lebenswandel muss sich ändern. Weniger Fleisch essen, auf das Fliegen verzichten, statt auf die Politik zu vertrauen“. Nicht eine Wahlentscheidung ist entscheidend, sondern dass die Menschen die Rettung des Planeten selbst in die Hand nehmen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, soziale Bewegungen als zentrale Instanzen gegen eine hilf- und kraftlose Politik, die nicht mehr in der Lage ist, die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen, ja diese manchmal noch nicht einmal richtig verstehen.

Man kann die Frage eines individuellen Verzichts auf verschiedene Weise diskutieren:

  1. Ethisch
  2. Effektivität
  3. Ideologisch
  4. Politökonomisch
  5. Marxistisch
  6. Dialektisch

1. Verzichtsethik

Es gibt eine individuelle Verantwortung für die Welt. Christlich gesprochen: Die Bewahrung der Schöpfung ist eine ethische Norm, die jeden/jede angeht und jeden/jede unbedingt betrifft. Jeder/jede ist gefordert, beispielhaft voranzugehen, ein Zeichen zu setzen, symbolhaft für andere voranzugehen in der Hoffnung, dass andere dem folgen werden. Was der individuelle Verzicht tatsächlich bringt, ist nicht irrelevant, tritt aber gegenüber einer Frage der Existenz zurück.

2. Verzichtswirkung

Effektiv ist ein individueller Verzicht gegenüber anderen Verursachungsfaktoren nicht. Das hat Fabian Lehr, ein marxistischer Autor, auf facebook eindrücklich dargelegt: „Die individuellen Konsumentscheidungen sind gar nicht ausschlaggebend dafür, ob die klimakrise in einem zu bewältigenden Rahmen bleibt oder nicht. Alle individuellen Bemühungen um geringeren CO2-Fußabdruck sind mehr oder weniger für den Arsch, wenn die Energie, die ich durch Strom und Heizen verbrauche und unweigerlich verbrauchen muss, aus Kohlkraftwerken stammt, was Resultat politischer Entscheidungen ist.“

Fabian Lehr buchstiert das dann weiter für die Bereiche öffentlicher Verkehr versus Individualverkehr, industrielle Emissionen und Profit, Flugverkehr und Schrumpfung der Waldfläche und komm dann zu dem Schluss: „Würde man dagegen die politische Entscheidung treffen, eine massive weltweite Aufforstungskampagne zu finanzieren, öffentliche Verkehrsmittel gratis zu machen, die Verfeuerung fossiler Energiequellen komplett durch emissionsarme Energiequellen zu ersetzen und die gesamte Industrieproduktion planwirtschaftlich (sic! G.B.) zu organisieren und ihr die jeweils emissionsärmsten Produktionsmethoden zu verordnen, wäre die Klimakatastrophe höchstwahrscheinlich abgewendet.“ Jenseits der Frage, ob eine weltweite planwirtschaftliche Organisation der gesamten Industrieproduktion theoretisch überhaupt möglich ist, ob sie praktisch sinnvoll wäre und ob sie nicht als historisch-empirisch widerlegt zu gelten hätte, steht bei Lehr die Frage der Dominanz des Politischen im Vordergrund. Nur eine andere Politik vermag die Klimawende hinzubekommen. „Das Ausschlaggebende ist die Frage, ob wir es durch kollektives politisches Handeln schaffen, die unsere Zivilisation zerstörende Bande von KapitalistInnen und ihr politisches Personal zu stürzen und eine vernünftig geordnete Weltwirtschaft zu schaffen. Entscheidend ist nicht, welche Konsumpräferenzen Max Mustermann als Individuum hat – sondern ob zig Millionen Max Mustermänner es schaffen, sich kollektiv zu organisieren und zu kämpfen, um den Laden zu übernehmen und so einzurichten, dass ihre Bedürfnisse ….. gesichert werden können.“

Hier scheint ein leninistisches Revolutionsverständnis durch. Es geht nicht um eine andere Regulationsweise von Wirtschaft und Gesellschaft und wie diese zu erreichen sei, sondern um den Sturz der KapitalistInnenklasse mit anschließender Übernahme der Macht durch die Massen als Voraussetzung für eine an den Bedürfnissen orientierte Weltordnung. Das klingt sehr nach Eroberung der Kommandohöhen der Politik, um von dort aus die Weltenrettung durchzusetzen. Unbeleckt von den Weiterentwicklungen marxistischer Theorie wie bei Luxemburg, Gramsci, Bourdieu und anderen erscheint dann der individuelle Beitrag jedes/jeder Einzelnen bestenfalls als Feigenblatt, eher aber als Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens: „Wenn jemand durch individuelle Konsumentscheidungen einen kleinen Zusatzbeitrag leisten möchte, um sich wenigstens das Gefühl zu verschaffen, irgendwas zur Linderung der Krise beigetragen zu haben: Gern, das ist ein ehrenwerter Vorsatz.“

Schlimmer kann man die Friday for Future Bewegung nicht abwatschen und damit die Linke von den real stattfindenden Entwicklungen isolieren.

3. Verzichtsideologie

In eine ähnliche Richtung geht ein Ansatz, der die Verzichtsdebatte als eine besonders perfide Form von Ideologie sieht. Die Menschen lassen sich von der Bourgeoisie und ihren Medien das Märchen aufbinden, dass die Frage, wie jemand in den Urlaub reist oder was jemand im Supermarkt kauft, sei der ausschlaggebende Faktor. Das Individuum wir zum eigentlich Schuldigen am Weltuntergang. Das Kapital sieht sich durch den Klimawandel in einer Lage, die den Profit tatsächlich bedrohen könnte und sucht Felder der Auseinandersetzung, die seine Verwertungsinteressen nicht tangiert. Die FfF-Bewegung wird instrumentalisiert zum Schutz von Kapitalinteressen und zur Verschiebung des Problems weg von den eigentlichen Verursachern.

4. Makroökonomische Fragen

Durch Verzicht auf z.B. eine Flugreise ist noch nicht geklärt, was mit dem so eingesparten Geld passiert. Wird es anderweitig ausgegeben und wenn ja, wofür? Oder wird es gespart und was macht die Bank mit den zusätzlichen Ersparnissen? Es ist nicht egal, ob man mit den eingesparten Flugkosten einen SUV finanziert, mit dem man dann auf der Autobahn nach Süditalien düst. Oder ob man davon eine energiesparende Heizung einbauen lässt oder das Haus besser dämmt. Spart man das Geld, fällt Nachfrage weg. Tun das viele, kann ein Wirtschaftsabschwung ausgelöst oder verstärkt werden mit der Folge zunehmender Arbeitslosigkeit und weitere Spaltung der Gesellschaft. Den Banken verschafft man mit der erhöhten Sparneigung zusätzliche Möglichkeiten der Kreditvergabe und/oder Möglichkeiten der Spekulation und der Vermögensanlage bei Schattenbanken.

Einfach an der richtigen Stelle verzichten reicht also nicht. Es bedarf mindestens zusätzlicher Steuerungen. Makroökonomisch schlimmer noch wird es, wenn aus dem Verzicht geschlossen wird, es bedürfe gar nicht so hoher Löhne, wie so viel klimaschädliche Ausgaben getätigt würden. Die Gewerkschaften sollten sich mal bescheiden und, wenn man es richtig anstellt, durch Lohnverzicht den Klimaschutz voranbringen. Dies würde ja das gesellschaftliche Wertprodukt nicht verändern, die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen bliebe unverändert. Es würde nur das Verhältnis von Löhnen und Gewinnen verändern, also höhere Gewinne auf Kosten der Löhne, die gesellschaftliche Lohnquote würde sinken. Auch hier stellt sich die Frage der Verwendung der zusätzlichen Gewinne: Mehr Luxuskonsum, mehr Spekulation, mehr globale Investitionen und Ausweitung von Absatzmärkten. Oder mehr Investitionen in umweltfreundliche Produktionsverfahren. Ohne eine ökologische Industrie- und Dienstleistungspolitik wäre hier nichts zu machen, stärkt aber auf jeden Fall die Macht des Kapitals.

5. Verzicht im Kapitalismus

Individueller Konsumverzicht ändert nichts an den Funktionsvoraussetzungen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung: Dem Zwang zur ständig erweiterten Akkumulation des Kapitals. Dieses Zwangsgesetz gilt unabhängig vom individuellen Willen des einzelnen Kapitalisten und ist schlichte Folge der Konkurrenz der Kapitale untereinander. Kapital akkumulieren muss sowohl das einzelne Kapital als auch das Kapital insgesamt. Es gibt also einen systemimmanenten Wachstumszwang, der nicht einfach dadurch weggewischt werden kann, dass man feststellt, dass stetiges Wachstum auf Dauer nicht möglich sei.

Der Kapitalismus als System entwickelt seine Produktivkräfte auf Kosten der menschlichen Arbeitskraft und auf Kosten der Naturbedingungen. Beides sind zwei Seiten einer Medaille. Historisch war die Vernutzung der menschlichen Arbeit früher, da noch genügend Naturkräfte vorhanden waren. Der extensive und intensive Verbrauch der Arbeitskraft konnte durch lange und vielfach verlustreiche Kämpfe zumindest in den entwickelten Ländern durch Arbeitszeitverkürzung und durch höhere Löhne eingehegt werden. Der erreichte Stand ist aber nie abgesichert, sondern immer abhängig vom Widerstandswillen der abhängig Beschäftigten. Und ständig wird versucht, den erreichten Stand wieder zurückzudrehen (siehe Angriff auf den 8 Stundentag).

Jetzt steht, sehr spät und hoffentlich nicht zu spät, die gleiche Aufgabe wie bei der Arbeit bei der Natur an. Auch die Nutzung der Naturbedingungen muss gegen Akkumulation und Verwertungsbedingungen des Kapitals eingehegt und begrenzt werden. Nur stehen hierfür nicht ca. 150 Jahre zur Verfügung wie bei der Regulierung der Arbeit, sondern maximal noch 30 Jahre. Und Soziales und Ökologie sind dabei keine voneinander unabhängigen Faktoren. Heutzutage bedingen sie sich gegenseitig. Gibt es Einbrüche bei der sozialen Regulierung, stärkt das das Kapital und verringert die Möglichkeiten ökologischen Begrenzungen. Und umgekehrt: Schaffen wir die ökologische Wende nicht rechtzeitig, verringert das die Kraft zur Begrenzung der Nutzung der Arbeitskraft. Ein höher oder niedriger, ein vorrangiges oder nachrangiges Ziel kann es daher hierbei nicht geben. Man kann nur gemeinsam gewinnen oder gemeinsam verlieren, unabhängig von der Frage, dass man auch für eine ökologische Wende Mehrheiten braucht, die nicht gegen Beschäftigten gewonnen werden können.

6. Verzichtsdialektik

Individuellen Verzicht und politischen Handeln widersprechen sich nicht. Sie sind zwar nicht identisch und nicht unmittelbar aufeinander bezogen, können aber dialektisch aufeinander aufbauen. Aus den Begrenzungen eines nur individuellen Verzichts zu politischen Formen des Widerstands zu kommen, die sich nicht nur im Wahlverhalten äußern müssen, ist im individuellen Handeln selbst angelegt. Die Erfahrungen, dass Verzicht allein nicht reicht, drängt zu weitergehenden Formen. Es ist Aufgabe der politischen Linken, Handeln und Politik programmatisch und praktisch zu vermitteln und dialektisch aufeinander zu beziehen. Im Bündnis mit den ökologischen und sozialen Bewegungen kann dies auch gelingen.

Günter Busch

Reutlingen, 29.08.2019

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.