Klimaschutz in der Region Reutlingen

Vorbemerkung: Dieser Text beruht auf einer Diskussion und Bearbeitung im „Arbeitskreis Linke Themen“ des Kreisverbandes Reutlingen der Partei Die LINKE. Er wurde mit Kommunalvertreter*innen der Linken Liste Reutlingen und von Die LINKE im Kreistag rückgekoppelt. Ihre Anregungen wurden aufgenommen.

Der Text dient der politischen Willensbildung der Mitglieder des Kreisverbandes in dem wichtigen Feld Klimaschutz und Begrenzung des Temperaturanstiegs auf regionaler Ebene und ist somit nicht als kommunalpolitische Handlungsanweisung zu verstehen. Seine Aussagen haben ihren Schwerpunkt in der Reutlinger Region, also der Stadt Reutlingen mit ihrem Umland.

Der Klimawandel auf der Erde hat Deutschland und auch unsere Region Reutlingen längst erreicht. ( In der Diagnose über die Auswirkungen des Klimawandels in der Region Reutlingen stimmen wir den Aussagen von Daniel Scheu in seiner Bachelorarbeit: „Auswirkungen des Klimawandels auf das Kleinklima der Stadt Reutlingen“ aus dem Jahr 2018 zu. )

Ansteigende Temperaturen in den letzten 10 Jahren, in diesem Zeitraum auch mehr Sommertage und mehr heiße Tage, weniger Niederschlag, Zunahme von Extremwetterereignissen (Starkregen, Hochwasser, Gewitter, Hagel) sind statistisch nachgewiesene, also bereits eingetretene Folgen des weltweiten Klimawandels auf regionaler und lokaler Ebene.

Auch wenn die deutschen, europäischen und internationalen Anstrengungen, den Temperaturanstieg weltweit auf 2, besser 1,5°C zu begrenzen, Erfolg haben sollten, ist dennoch mindestens bis zum Jahr 2050 mit weiter steigenden Temperaturen und daraus folgenden Klimaänderungen zu rechnen. Das gilt auch für Reutlingen. Gefahren, gesundheitliche Schäden für die Menschen und materielle Schäden werden zunehmen.

Für Stadt und Region ergeben sich daher folgende Herausforderungen:

Mit welchen Maßnahmen kann man sich dem Klimawandel anpassen, um Menschen, Land, Gebäuden und Infrastruktur zu schützen? (Anpassungsstrategien)

und

Was können Beiträge sein, die die Stadt Reutlingen und der Landkreis leisten können, um den Kampf gegen den Klimawandel auf lokaler und regionaler Ebene zu unterstützen? (Reduktionsstrategien)

Als Anpassungsstrategien schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

• Auf allen Flachdächern, bei Neubauten verpflichtend, ist eine Dachbegrünung vorzusehen. Das gilt für Industriebauten und für die Wohnbebauung. Dachbegründung vermindert den Aufheizungseffekt von versiegelten Flächen, verbessert das Microklima, vermindert Temperaturen und erhöht die Luftfeuchtigkeit. Der Lebensraum für Insekten, von Vögeln und Kleinlebewesen wird zudem vergrößert. Flache Satteldächer können ebenfalls durch geeignete Techniken begrünt werden. Es ist zu prüfen, ob eine verpflichtende Begrünung bei Neubauten durch Ortssatzung möglich ist, oder ob es dazu ein Landes- oder Bundesgesetz geben muss. Bei Altbauten können Flachdächer wo technisch möglich nachträglich begrünt werden. Um den Umstieg zu erleichtern, sollten Zuschüsse, auch durch Stadt und Landkreis, wie bei Maßnahmen zur energetischen Sanierung gewährt werden.

• Fassadenbegrünungen sind zu fördern. Bei der Auswahl der Pflanzen und der Begrünungsart ist auf geringe Pflegeintensität zu achten. Das ist in die kommunalen Beratungsleistungen aufzunehmen.

• Kaltluftschneisen von der Alb bis in die Stadt mindern die sommerliche Aufheizung. Sie dürfen nicht zugebaut werden. Bauliche Maßnahmen und auch Begrünung durch Bäume (Pflanzrichtungen für Baumreihen) müssen auf ihre Wirkungen auf die Kaltluftschneisen geprüft werden, soweit dies bisher nicht geschehen ist. Auch Rückbauten sind an besonders empfindlichen Stellen zu prüfen.

• Versiegelte Bodenflächen sollen entsiegelt werden. Versiegelte Flächen haben einen hohen Aufheizeffekt, nehmen Regenwasser nicht auf und verhindern die Besiedlung durch Kleinlebewesen. Versiegelte Brachflächen, Firmenparkplätze, Lagerflächen, Parkplätze für den Handel können sich für Entsiegelungen anbieten. In Reutlingen wurden die versiegelten Flächen für die Berechnung der Niederschlagswassergebühr in einem Kataster erfasst. Jeder Grundstückseigentümer hat eine Aufstellung über seine Flächen und den jeweiligen Versiegelungsgrad erhalten. Diese Flächenerfassung kann zur Prüfung von Möglichkeiten einer Entsiegelung herangezogen werden. Zur Entsiegelung von Flächen auf privaten Grundstücken soll es Anreize geben. Die Kommunen haben bei Planungen und Maßnahmen zur Entsiegelung eine Vorbildrolle. Sie sollen in ihren Konzepten öffentliche Plätze, öffentliche Parkmöglichkeiten und Schulhöfe für eine Entsiegelung oder Teilentsiegelung prüfen.

• Wasserflächen in der Stadt vermindern Aufheizungen und verbessern das Stadtklima. Anlage von kleinen Teichen (Umbau ZOB), Ausweitung städtischer Brunnen, mehr Trinkwasserspender für Menschen und auch für Haustiere sind zu fördern.

• Bei Neupflanzungen und Nachpflanzungen von Bäumen und Stadtgrün sollen klimaangepasste Gehölze verwendet werden. Zunehmende Hitze und lange Trockenperioden führen bereits jetzt zu sommerlichem Blätterabwurf und Baumstress. Dem ist durch resistentere Arten vorzubeugen.

• Vorbeugung gegen Hitzebelastung der Bevölkerung durch innerstädtische zusammenhängende Grünzüge und Wasserelemente. Dies wirkt sich auch positiv auf die Luftqualität aus. Ein Grünzug ist von Pfullingen an der Echaz entlang über die Stadtmitte Reutlingen (Einbeziehung des bisherigen ZOB) bis nach Betzingen vorzusehen. Die Grünflächen beidseits der Echaz sind zu erweitern, ein durchgehender Fußweg und ein Radweg ist anzulegen. Eine solche zentrale Grünachse soll durch vielfältige Zugänge leicht erreichbar sein.

• Starkregenereignisse nehmen aufgrund des Klimawandels zu. Der Hochwasserschutz der Stadt Reutlingen, beispielsweise mit Renaturierungsmaßnahmen bei Gewässern und Regenüberlaufbecken soll weiterentwickelt werden. Ziel ist eine Regenwasserwirtschaft im Sinne des Konzepts „Sponge City“ (Schwammstadt): Flächen sollen so gestaltet werden, dass Niederschläge mehr und länger gespeichert werden können.

Als Beitrag zur CO2 Reduktion schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

• Reutlingen soll sich zur klimaneutralen Stadt erklären. Dieses Ziel soll bis zum Jahr 2030 erreicht werden.

• Entsprechende Zielformulierungen soll es neben der Stadt auch für den Kreis und die Regionalversammlung Neckar-Alb geben.

• Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele sind der Ausbau von erneuerbaren Energien und Energieeinsparung.

Ausbau von erneuerbaren Energien betrifft z.B.:

– Photovoltaik (PV)

– Konventionelle Windenergie auf der Albhochfläche (gegen Abstandsregelung von 1000 Metern)

– Für die Grundlastversorgung fähige Schwachwindräder

– Verwertung von Biomasse, soweit diese nicht aus Monokulturen stammt

– Thermische Verwertung des Bioabfalls

– Geothermie nach Prüfung in geeigneten Gebieten

Energieeinsparung durch:

– Energetische Gebäudesanierung

dabei: energetische Gebäudesanierungen im Mietwohnungsbestand dürfen nur zu sozialverträglichen Mietsteigerungen führen und nicht höher sein als die dadurch bewirkten Einsparungen.

– Energieeinsparungen in Industrie, Handel und Gewerbe

– Weniger Individualverkehr mit PKW bei gleichzeitigem Ausbau von

Fahrradverkehr und ÖPNV

– Einen ticketfreien Bus- und ÖPNV-Verkehr, der den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr deutlich beschleunigt

– Städtebauliche Konzepte/ Quartierskonzepte

Betrachtung nicht nur eines einzelnen Gebäudes, sondern Betrachtung Quartier/ Stadtteil

Möglichkeit der Nutzung von Nahwärme, BHKWs


• Mehr Photovoltaikanlagen soll es auf Hausdächern und auch an sonnenzugewandten Fassadenseiten geben. Eine Verpflichtung bei Neubauten ist vorzusehen. Für Bestandsgebäude sind Zuschüsse zu gewähren.

• Auf Flachdächern kann Photovoltaik mit Dachbegrünungen kombiniert werden. Dies ist landesgesetzlich möglich, die Kommunen müssen gegenüber dem Land initiativ werden. Über die kommunale Bauleitplanung können für PV-Anlagen geeigneten Dachneigungen und Dachrichtungen vorgegeben werden.

• Gegenüber den zuständigen Stellen sind Photovoltaikanlagen an Böschungen und Lärmschutzwänden von Schnellstraßen und Eisenbahnen anzuregen. Diese sind vielfach nicht genutzt und für andere Nutzungen nicht sinnvoll. Auch landwirtschaftliche Flächen in unmittelbarer Nähe eignen sich zu Überbauung mit Solarmodulen. Über Parkplätzen und dauerhaft versiegelten Flächen sind ebenfalls PV-Anlagen zu planen.

• Der Zubau von PV-Anlagen kann nur erfolgen, wenn der Solardeckel abgeschafft wird, mit dem bisher die Ausweitung der Sonnenenergienutzung begrenzt wurde. Dies hat sofort zu erfolgen, auch wenn es kurzfristig zu einer Erhöhung der EEG-Umlage führen sollte. PV-Anlagen sind bei größeren Anlagen schon jetzt konkurrenzfähig. Kommune und Kreis müssen über den Städte- und Landkreistag auf eine Änderung dringen.

• Überschüssiger Solar- und Windstrom, der nicht ins öffentliche Netz eingespeist werden kann, ist in Energiespeichern zwischenzuspeichern und für spätere Belastungsspitzen einzusetzen.

• Beratung zur Energieeinsparung bei Industrie- und Wohngebäuden sowie bei langlebigen Verbrauchsgütern ist auszuweiten. Dabei sollen nicht nur Beratungsangebote vorgehalten werden, sondern die Berater sollen auch proaktiv mit Einsparvorschlägen auf die entsprechenden Stellen, Verwaltungen und Bewohner*innen zugehen. Die Energieberatung des Landkreises ist entsprechend auszubauen.
Bewohner*innen und Familien, die sich teurere energiesparende Elektrogeräte, Heizungen u.ä. nicht leisten können, erhalten Zuschüsse.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Landes- und Regionalplanung und Umweltschutz:

Um Mobilität zu verringern, muss es in Ballungsräumen mit den meisten Arbeitsplätzen bezahlbare Wohnungen geben, andererseits ist eine gezielte Gewerbeansiedlung in ländlichen Gebieten zu fördern, damit es eine Alternative zu den Arbeitsplätzen in den Zentren gibt. Digitalisierung und Vernetzung fördert dezentrales Arbeiten und macht auch Tätigkeiten auf dem Lande möglich. Eine Zersiedlung ist aber zu vermeiden.

Bei der Umsetzung der geforderten Maßnahmen wird es eine Reihe von Zielkonflikten und auszugleichenden Interessen geben. Dabei muss der Maßstab gelten: Klimaschutz ist nicht ein nachrangiges Politikfeld, sondern muss mindestens gleichrangig zu Stadtentwicklung, Wohnen, Wirtschaft und Verkehr stehen.

Einen solchen Zielkonflikt bildet die Nachverdichtung in den Innenstädten. Einerseits notwendig, um die Zersiedlung zu verhindern, andererseits behindernd für Kaltluftschneisen, Grünzüge, Parks u.ä.

Bei der Nachverdichtung wollen wir, dass zunächst vorhandene innerstädtische Brachflächen bebaut werden und z.B. auch nicht mehr benutzte Bahnflächen dabei einbezogen werden.

Moderne Architektur kann hier lärmschützend und ökologisch vorbildliches leisten.

3.6.2020

Kreisverband DIE LINKE Reutlingen und LAK Reutlingen