Marx und Bergmann im Kino

Bergmann _Marx_klein
NEUES DEUTSCHLAND 13.02.2017:

Marx so jung wie lange nicht
Regisseur Raoul Peck bringt den Denker als Revolutionär auf die Leinwand
Er war mehr als ein Schreibtischintellektueller: Karl Marx

Berlin. Seltsam, dass die kommunistischen und die neoliberalen Vertreter des Filmbetriebs bisher fast alle einen Bogen um den gespielten Karl Marx gemacht haben. Raoul Peck ist der erste Regisseur, der dem politisch wirkungsmächtigen Philosophen ein Biopic widmet. Und er hat sich dafür nicht etwa eine lineare Nacherzählung der Lebensgeschichte erwählt. Nein, Peck folgt dem derzeit genreüblichen Mittel und greift sich eine prägende Episode seiner Hauptfigur heraus. Welche das ist, zeigt schon der Filmtitel: »Der junge Karl Marx«.

In einem solchen biografischen Leinwandwerk liegt natürlich stets die Gefahr, den Protagonisten zu historisieren, seine Ideen und Taten als vergangen und vergessen abzutun und die Frage, was uns diese Person denn heute noch zu sagen hat, hinter melodramatischem Kitsch zu verbergen. Nicht so in diesem Film. Weil er den Sturm-und-Drang-Marx zwischen 1844 und 1848 in den Mittelpunkt stellt, seine junge Liebe zur ihm intellektuell ebenbürtigen Jenny und die beginnende Freundschaft zu Friedrich Engels verhandelt. Aber auch, weil Regisseur Peck dem 1818 in Trier geborenen Kritiker der politischen Ökonomie gerade für diese Phase attestiert, die Arbeiterbewegung nicht nur durch seine wichtigen Gesellschaftsanalysen bereichert zu haben, sondern auch durch sein Handeln als Revolutionär.

Interview in der Süddeutschen Zeitung 12.02.2017

August Diehl findet Karl Marx zeitgemäß

Film

Schauspieler August Diehl in Berlin: Foto: Britta Pedersen

Berlin (dpa) – Wie kommt man heutzutage auf die Idee, ausgerechnet einen Film über Karl Marx zu machen? Hat nicht der Kommunismus längst ausgedient? August Diehl (41) spielt in dem Porträt „Der junge Karl Marx“ von Regisseur Raoul Peck aus Haiti die Hauptrolle. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur zur Berlinale sagt er: Mitnichten!

Frage: Ein Film über Marx – ist das zeitgemäß?

Antwort: Oh ja, sogar sehr! Ich glaube, dass wir heute in einer Welt leben, in der sich praktisch der Bogen zu Karl Marx schließt. Was im 19. Jahrhundert anfing mit der Industrialisierung und der Entstehung des Proletariats, das wird jetzt durch den nächsten großen Schritt abgelöst, die Digitalisierung. Insofern haben wir auch das Gefühl, an einer Zeitenwende zu stehen. Nur sind wir der Situation passiver ausgeliefert als die Menschen damals.

Frage: Wie meinen Sie das?

Antwort: Das System ist so rasend schnell geworden und unübersichtlich. Leute, die vorgestern noch in einer Garage gelebt haben, werden über Nacht zu Supermillionären, Start-ups ploppen auf und verschwinden, die Veränderungen überschlagen sich. Vielleicht sind wir nach dem Zusammenbruch des Kommunismus jetzt wirklich an einem Punkt, wo auch der Kapitalismus wackelt oder auf lange Sicht sogar zusammenbricht, wie Karl Marx es prognostiziert hat.

Frage: Welche Anzeichen sehen Sie dafür?

Antwort: Eigentlich ist ja schon lange klar, dass es auf Dauer nicht so weitergeht wie jetzt – gerade mit der Verteilung der Güter und der Not in der Welt. Jetzt haben wir die neue Situation in Amerika. Es wird kein Freihandelsabkommen mehr geben, viele Veränderungen kommen auf uns zu. Deshalb werden wir über ein neues System nachdenken müssen, wie wir wirtschaftlich eigentlich leben wollen. Insofern kommt mir der Zeitpunkt, sich mit Karl Marx auseinanderzusetzen, sehr logisch vor.

Frage: Was bedeutet die Einladung zur Berlinale für Sie?

Antwort: Die Berlinale ist das Festival, mit dem ich praktisch aufgewachsen bin. Das ist mein Festival, das ist die Stadt, in der ich lebe. Ich kenne die Berlinale noch aus Zeiten, wo ich noch gar nicht gespielt habe. Wir haben uns immer Stempel gedruckt auf die Hände, um auf Partys zu gehen und irgendwo dabeizusein. Also, ich bin wahnsinnig froh, dass der Film hier gezeigt wird, weil er ja auch gut zu der Stadt passt.

Frage: Es ist eine französisch-deutsch-belgische Koproduktion. Was ist für Sie das Besondere am europäischen Film gegenüber Hollywood?

Antwort: Die Hollywood-Regisseure, die ich kennengelernt habe, waren untereinander sehr unterschiedlich, aber eine Sache hat sie vereint: Keiner von denen hat sich in die Suppe spucken lassen. Jeder hat den Film gemacht, den er machen wollte, manchmal fast ein bisschen maniac-mäßig oder unerbittlich. Aber ich muss sagen, diese Leute gibt es in Deutschland und Frankreich genauso.

ZUR PERSON: August Diehl, 1976 in Berlin geboren, wurde als Computerhacker Karl Koch in dem Kinofilm „23“ bekannt. Auf Anhieb gewann er damit 1999 den Deutschen Filmpreis. Weitere Auftritte hatte er in „Inglourious Basterds“, „Salt“ und „Wer wenn nicht wir“. Seit 2013 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater Wien.

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.