Redebeitrag von Petra Braun-Seitz bei der VVN-Gedenkfeier am 22.11.09

Bei der Gedenkfeier am Grab von Opfern des Nazi-Faschismus auf dem „Friedhof unter den Linden“ erinnerte Petra Braun Seitz an eines der Opfer und erinnerte in Hinblick auf den rassistischen Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini in Dresden an den Fremdenhass in unserer Gesellschaft.

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
sehr geehrte Damen und Herren,

gerne habe ich die Einladung der VVN zu dieser Gedenkfeier angenommen und spreche für die Partei Die Linke.

Ich möchte über 2 Meldungen in der Presse sprechen, die ich im Zusammenhang sehe.

Die eine:

Im letzten August las ich einen Artikel im Reutlinger GEA mit der Überschrift: „Für die Trauer einen Ort gefunden“. Darin wird berichtet, dass der Holländer Joop Koekkoek (gespr. Kuckuck) nun endlich weiß, wo das Grab seines Vaters ist. Das Foto in der Zeitung zeigt ihn und seine Frau vor dem Mahnmal, vor dem wir hier stehen.

Gefunden hat Joop Koekkoek das Grab seines Vaters durch ein Buch von Volker Mall mit dem Titel: „Jeder Mensch hat einen Namen“.

Unter diesem Mahnmal liegt die Asche seines Vaters, zusammen mit der Asche von 127 weiteren Häftlingen, die im KZ-Außenlager Hailfingen ermordet wurden. Das KZ-Außenlager Hailfingen liegt zwischen Herrenberg und Rottenburg und gehörte zum KZ Stutthof im Elsass.

Barend Koekkoek war Drucker und beteiligte sich am Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Menschen, die vor den Nazis untertauchen mussten, wurden mit falschen Papieren, Lebensmittelkarten und Geld versorgt und auch versteckt. Am 18. April 1944 wurde er verhaftet und über Auschwitz und Stutthoff nach Hailfingen gebracht. Dort starb er am 28. November 1944. Fiktive Todesursache: „Herzmuskel- und Kreislaufschwäche“. In Wahrheit hat er sich zu Tode geschuftet. Seine Leiche wurde am 7. Dezember 1944 im Krematorium dieses Friedhofs eingeäschert.

Woher wissen wir darüber Bescheid?
Vom November 1944 bis zum Januar 1945 wurden 128 tote KZ-Häftlinge im Reutlinger Krematorium verbrannt. Der Totengräber Wilhelm Ullmann und der Friedhofsaufseher Weiß haben die Anweisung, die Asche der Häftlinge zu zerstreuen, nicht befolgt. Sie legten 2 Gräber an, in denen die Asche gesammelt wurde. Auch die Friedhofsverwaltung hat das Einäscherungsverzeichnis, in dem die Namen aufgeführt sind, nicht vernichtet, wie kurz vor dem Einmarsch der Franzosen befohlen. Dem Mut dieser Männer haben wir zu verdanken, dass wir die Namen der Toten kennen, die hier liegen.

Auch 65 Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes gibt es in unserem Land brutale Verbrechen aus Fremdenhass.

Dazu jetzt die andere Meldung:
Bei einem Gerichtsprozess in Dresden wurde die schwangere Ägypterin Marwa El-Sherbini von einem jungen Russlanddeutschen erstochen, ihr Mann wurde schwer verletzt. Der dreijährige Sohn musste die Bluttat mit ansehen. Der Prozess wurde geführt, weil der junge Deutsche Alex W. Marwa El-Sherbini wegen ihres Kopftuchs als Islamistin und Terroristin beschimpft hatte.

Kann es sein, dass das Tragen eines Kopftuchs in unserer Gesellschaft ein tödliches Risiko darstellt?

Es geht schlicht und ergreifend um die Toleranzfähigkeit unserer Gesellschaft. Bringt die Mehrheit der Gesellschaft die Kraft auf, Achtung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersaussehenden zu zeigen, oder nicht?

Arbeitslosigkeit – unmenschlicher Leistungsdruck – Existenzängste – Lohn, von dem man nicht leben kann, –um nur einige Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu nennen, sind der ideale Nährboden für Fremdenhass und Faschismus!

Und deshalb dürfen wir nicht aufhören, zu erinnern.

Petra Braun-Seitz

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