Realpolitik in ihrem schlechtesten Sinne: Baden-Württemberg stimmt Asylrechtsverschärfung im Bundesrat zu

PRO ASYL: Fataler Deal auf Kosten von Roma-Flüchtlingen
Im zweiten „Asylkompromiss“ nach 1992 wurde das Menschenrecht auf Asyl erneut Gegenstand eines politischen Geschäfts

Heute stimmte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Bundesrat der Einstufung Serbiens, Mazedoniens und Bosnien-Herzegowinas als so genannte „sichere Herkunftsstaaten“ zu. Damit stehen Flüchtlinge aus diesen Ländern in Zukunft weitestgehend schutzlos da. Vorangegangen war ein politischer Deal. Im Gegenzug zu der Asylrechtsverschärfung wurden Erleichterungen beim Arbeitsmarktzugang, der Residenzpflicht und im Sozialrecht zugesagt. PRO ASYL liegt der Wortlaut vor. Eine erste Analyse zeigt: Der Deal ist Realpolitik in ihrem schlechtesten Sinne, Ausnahmeregelungen hebeln viele Verbesserungen wieder aus.

– Lockerung der Residenzpflicht: Zum Positiven gehört die Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht, die PRO ASYL und andere Flüchtlingsorganisationen seit Jahrzehnten fordern. Allerdings: Mehr als eine Entkriminalisierung von Verwandtenbesuchen ist dies kaum. Die Residenzpflicht war auf Länderebene – auch durch den Einsatz von Flüchtlingen und Flüchtlingsbewegungen – bereits weitgehend liberalisiert. Und: Ein Wohnsitzwechsel zum Ort des Arbeitsplatzes oder der Bildungseinrichtung ist weiterhin kaum möglich.

– Lockerung des Arbeitsverbotes: Der Wegfall der Vorrangprüfung beim Arbeitsmarktzugang nach 15 Monaten ist auf drei Jahre befristet. Ob überhaupt eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, liegt zudem weiterhin im Ermessen der Ausländerbehörden. Ausnahmeregelungen sorgen dafür, dass vielen geduldeten Flüchtlingen dauerhaft das Arbeiten verboten bleibt – auch das hieraus resultierende Ausbildungsverbot für Jugendliche bleibt weiter bestehen.

– Abschaffung des Sachleistungsprinzips: Dass das Sachleistungsprinzip im Asylbewerberleistungsgesetz aufgehoben werden soll, ist ein Fortschritt, ermöglicht aber weiterhin eine auseinanderlaufende Länderpraxis. Angestanden hätte die endgültige Abschaffung des AsylbLG, das immer noch ein Instrument der Diskriminierung und Ausgrenzung mit beträchtlichen Folgen z.B. im Bereich der medizinischen Versorgung darstellt. Mit seiner Abschaffung und der damit verbundenen Eingliederung der Flüchtlingsversorgung ins SGB wäre die Kostenzuständigkeit auf den Bund übergegangen und hätte Länder und Kommunen entlastet.

Diesen viel zu kurz greifenden Erleichterungen steht ein Tabubruch gegenüber: Die individuelle Asylprüfung, das Kernstück des Asylverfahrens, wird für die Flüchtlinge aus den als sicher etikettierten Staaten durch dessen Karikatur ersetzt. Dabei sind in den Balkanstaaten Minderheiten weitgehend schutzlos rassistischen Übergriffen ausgesetzt, Homosexuelle werden diskriminiert und angegriffen. Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben eine derartige Dimension, dass sie existenz- und lebensgefährdend sein können.

Mit dem Gesetz wird die Tür zum Ausschluss weiterer Gruppen von einem fairen Asylverfahren zudem weit aufgestoßen werden. Wie bei den Westbalkanstaaten könnte bei hohen Asylbewerberzahlen aus anderen Ländern zunächst für niedrige Anerkennungsquoten gesorgt werden, um in der Folge zu erklären, dass das Herkunftsland offenbar sicher sei und eine faire Einzelfallprüfung somit gar nicht mehr nötig ist.

Dem vorläufigen Schlussstein dieser Politik geben die baden-württembergischen Grünen jetzt im Bundesrat ihren Segen. Warum sollte man sie nicht – wie die SPD der 90er – am Nasenring weiter durch die Arena zerren? Die nächsten Gesetzentwürfe mit problematischen Auswirkungen im Asylbereich liegen bereits vor: So soll nach dem Willen des Bundesinnenministeriums die vereinbarte Bleiberechtsregelung in einem Paket mit mehr Inhaftierung von Flüchtlingen und fatal wirkenden Aufenthaltsverboten verknüpft werden.

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