Rede von Bernd Riexinger auf der Montagsdemonstration am 17.10.2011

„Was ist wichtiger? Dass wir Geld in Lehrer, Bildung, Kinderbetreuung oder die Versorgung unserer Kranken, für den Ausbau des Regionalverkehrs und andere wichtige Dinge ausgeben, oder dass wir Milliarden sinnlos in der Erde vergraben?“

Die ganze Rede:

Liebe Freundinnen und Freunde,
im Dezember wird der Doppelhaushalt für die Stadt Stuttgart im Gemeinderat verabschiedet. Was Oberbürgermeister Schuster und Finanzbürgermeister in den Gemeinderat einbringen heißt: Weitere 2 Jahre Mangelverwaltung bei der Bildung und beim Sozialen. In Stuttgart fehlen seit Jahren 4600 Krippenplätze 3500 Ganztagesplätze in Kitas und mehrere Tausend Hortplätze. Tausende von Eltern müssen Schlange stehen für etwas Selbstverständliches; die Betreuung ihrer Kinder.
Die dringend notwendige Sanierung unserer Schulen soll weiter gestreckt werden. Dabei rieselt in vielen Schulen der Kalk von der Decke oder mussten sogar Turnhallen wegen Einsturzgefahr der Decken geschlossen werden. Immer ist zu wenig Geld für diese Sachen da. Kein Problem haben Föll und Schuster damit, über eine Milliarde auszugeben, manche sprechen inzwischen von 1,6 Milliarden Euro, für ein überteuertes Projekt, dessen Unsinnigkeit und Fragwürdigkeit längst bewiesen ist.
Was ist wichtiger? Dass wir Geld in Lehrer, Bildung, Kinderbetreuung oder die Versorgung unserer Kranken, für den Ausbau des Regionalverkehrs und andere wichtige Dinge ausgeben, oder dass wir Milliarden sinnlos in der Erde vergraben.
Nach den jüngsten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes ist die Armut in Baden-Württemberg um 0,4 auf 11 Prozent gestiegen. Besonderem Armutsrisiko sind die Alleinerziehenden ausgesetzt (44 %) also in erster Linie die Frauen. Familien mit mehr als 2 Kindern unterliegen ebenfalls erhöhter Armutsgefahr. Es ist unglaublich, in einer der reichsten Regionen der Welt ist mehr als jede/r Zehnte arm. Kinder bekommen bedeutet höheres Armutsrisiko. Laut Schulbürgermeisterin Eisenmann sind hungrige Kinder an den Schulen zum Problem geworden. Nicht im Sudan oder im Kongo, in Stuttgart, einer der reichsten Großstädte in ganz Deutschland.
Land und Stadt Stuttgart können Milliarden für S21 ausgeben, sind aber nicht in der Lage ein vernünftiges Programm gegen Armut und Kinderarmut zu finanzieren, Sozialtickets zur Verfügung zu stellen oder, was doch das Mindeste sein müsste, jedem Schuldkind ein gekochtes kostenloses Mittagessen zur Verfügung zu stellen.
Lassen wir uns nicht einreden, dass das alles ganz unterschiedliche Töpfe sind und wir mal wieder Äpfel mit Birnen vergleichen würden. Es sind alles öffentliche Gelder, unsere also, und es ist ausschließlich eine politische Entscheidung, wohin diese gehen. Stuttgart 21 ist und bleibt ein durch und durch unsoziales Projekt.
Natürlich weiß ich, dass nicht alle sozialen Probleme in Stadt und Land mit den eingesparten Milliarden gelöst werden können, obwohl man damit schon einiges machen kann. Es geht um Grundsätzliches. Hinter Stuttgart 21 stehen die gleichen Interessen, die gleiche Philosophie, wie hinter der Spekulation auf den internationalen Finanzmärkten, deren Zusammenbruch wir gerade mal wieder erleben. Höher, schneller, weiter, gigantisch, nicht beherrschbar und von der Droge Profitmaximierung abhängig und getrieben.
Hier wie dort wir ein großes Rad gedreht, nicht beherrschbar, ohne vernünftige Risikoabwägung mit offener Kostenspirale nach Oben.
Hier wie dort wird spekuliert, in der Regel mit Geld das man nicht hat oder einem nicht gehört. Bei S21 mit Grundstücken und Immobilien, auf den Finanzmärkten mit Schrottpapieren, mit undgedeckten Wetten auf die Zukunft, ja sogar mit Nahrungsmitteln, was Armut, Hunger und Elend noch mehr vergrößert.
Hier wie dort müssen die Leute, die die Entscheidungen treffen deren Folgen nicht tragen sondern andere. Hier bei S21 die Bürger und Bürgerinnen durch die Belastungen einer Dauerbaustelle, einem schlechteren Bahnhof, steigenden Kosten, der Gefährdung der Mineralquellen. Dort bezahlt die Mehrheit der Bevölkerung in ganz Europa die inzwischen billionenschwere Rettungsringe. Sparprogramme, Sozialabbau und Lohnkürzungen werden auf unserem Rücken abgeladen. Sogar der Ruin ganzer Volkswirtschaften wird in Kauf genommen.
Hier wie dort werden demokratische Entscheidungsprozesse mit einer fragwürdigen Sachzwanglogik ausgehölt. Bei S21 mit abenteuerlichen Kosten für den Ausstieg. Bei der Finanzkrise zur Rettung eines Finanzsystems, das längst völlig irreal geworden ist.
Liebe Demonstranten und Demonstrantinnen,
das Prinzip der Sachzwanglogik und der Profitmaximierung darf sich nicht durchsetzen. Wir wollen die Dinge vom Nutzen für die die Menschen beurteilen.
Verkehrsprojekte müssen den Bürger und Bürgerinnen nützen und nicht einigen Konzernen oder einer politischen Klasse. Die Wirtschaft muss für die Menschen da sein und nicht umgekehrt, das gilt erst Recht für ein öffentliches Unternehmen, wie die Bahn. Demokratie ist die Herrschaft des Volkes und nicht die Herrschaft über das Volk.
Letzten Samstag demonstrierten Tausende in Stuttgart und Hunderttausende in der ganzen Welt gegen das Diktat des finanzgetriebenen Kapitalismus. Heute demonstrieren wieder Tausende gegen das Milliardengrab und Spekulationsprojekt S21. Das ist die richtige Antwort. Wir wollen und müssen unseren Protest auf der Straße fortsetzen. Wir wollen auch die Volksabstimmung gewinnen, zumindest eine einfache Mehrheit erreichen, auch wenn diese Form der Abstimmung und schon gar nicht das Quorum nicht unsere Idee war. Wir wollen aber auch nicht das eine vom anderen abhängig machen oder gegeneinander ausspielen. Wir werben bei der Volksabstimmung für den Ausstieg, wir gehen zur Wahl, wir tragen unsere besseren Argumente ins ganze Land. Aber wir gehen auch weiter auf die Straße, vor und nach der Volksabstimmung.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit

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