Thomas Zieglers Rede zum Kreishaushalt 2019

Thomas Ziegler

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Landrat,
meine Damen und Herren,

wir alle, die wir heute über den Haushalt des Landkreises Reutlingen für das Jahr 2019 abzustimmen haben, sind erfahrene Kommunalpolitiker, die mit den Lebensverhältnissen unserer Einwohner im Landkreis zumindest einigermaßen, mit jenen unserer Bürger vor Ort bestens vertraut sind. Uns allen ist nicht verborgen geblieben, dass sich die Lebensumstände unserer Bürger in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren deutlich verändert haben, hin zu einer zunehmenden Auseinanderentwicklung zwischen – grob gesagt – arm und reich; genauer: in eine kleine, aber abgesichert wohlhabende Oberschicht einerseits und in nicht nur um ihr Dasein kämpfende Bedürftige, sondern zudem um einen um seine Zukunft zunehmend besorgten, ja bangenden Mittelstand.
Uns ist wohl bewusst, dass die dafür verantwortlichen ausschlaggebenden politischen Entscheidungen – Hartz IV bildet lediglich die berüchtigtste davon – nicht hier, sondern in vormals Bonn und jetzt Berlin, teils auch in Brüssel getroffen wurden.
Dennoch: auch wir auf kommunaler Entscheidungsebene können und dürfen uns unserer sozialen Verantwortung, dort wo wir noch Einfluss zu nehmen vermögen, nicht entziehen – sondern haben uns ihr zu stellen!

Für unsere Einwohner bilden ihre Möglichkeiten, Orte außerhalb ihres eigenen Wohnorts aufzusuchen, maßgeblichen Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe, oft zudem Voraussetzung für Bildung – nicht nur schulische – und Aufnahme sowie Ausübung einer Berufstätigkeit.

Dass für Jemanden, der auf den Bezug von Leistungen ALG II – Hartz IV – angewiesen bleibt, aus dessen Regelsatz für monatliche Fahrtkosten lediglich ein Anteil vorgesehen ist von € 30, schreit zum Himmel:
die Monatskarte für eine Naldo-Wabe kostet demgegenüber € 56,80 –
und dies für all jene Menschen aus unserem Kreis, die auf Bus und Bahn dringend angewiesen sind, da diese für sie häufig das einzige Fortbewegungsmittel bilden.
Das Sozialticket wird von uns Linken deshalb für diesen Kreishaushalt erneut zum Antrag gestellt – steter Tropfen höhlt den Stein. Immerhin bewegt sich naldo in seinen Tarifstrukturen in letzter Zeit zwar langsam, aber doch erkennbar verstärkt auf eine mehr soziale Komponente zu.
Gleiches gilt für unseren Antrag auf eine kostenreduzierte Schülermonatskarte: Dass Semester-Tickets für Studenten preisgünstiger ausfallen als Schülerkarten, bleibt weiterhin skandalös und ist durch nichts zu rechtfertigen: Schulbesuch darf mindestens ebenso wie der Besuch einer Hochschule nicht durch die Barriere der Fahrtkosten dorthin erschwert werden!

 

Dass u. a. unser Antrag auf Bewilligung der durch das AWO-Projekt NAWO – also Grundsicherung Wohnraum etwa für von einer Räumung bedrohte Menschen – benötigten Mittel in der Vorberatung erfolgreich reüssieren konnte, gehört zu den Lichtblicken dieser Haushaltsberatung

– auf zu Thema Beschaffung preiswerter Wohnraum durch unsere Fraktion außerdem erneut eingebrachten Antrag auf Gründung einer Kreis-Baugenossenschaft werden wir bei der Beratung der Einzelanträge noch zurückkommen.

Umgekehrt verweisen manche Fraktionen dieses Kreistages nicht wenige Engagements aus dem sozialen Bereich darauf, um die von ihnen benötigten Mittel verzweifelt kämpfen zu müssen – wie etwa bei Verein Görls e. V. für ihr Projekt BING.LISA.
Die Beträge, die erforderlich wären, diese – häufig aus ehrenamtlichem Engagement sich entwickelnden – Vereine ihre hilfreiche Arbeit gewährleisten zu können, sind dabei ausgesprochen überschaubar: es geht um € 1.500 hier, € 2.000 dort, vielleicht auch einmal um € 15.000 oder 20.000 –
dabei sollten wir uns als in Finanzen lang geübte und erfahrene Kreisräte doch vor Augen halten, dass allein in diesem Jahr 2018, das wir in Kürze abschließen, die gegenüber dafür beschlossenem Haushalt tatsächlich zugeflossenen Einnahmen um mindestens acht Millionen Euro höher ausfallen!

Zur Grundversorgung unserer Kreisbevölkerung gehört zwingend die ärztliche Versorgung. Erfreulich dabei zunehmend Modelle von Gesundheitszentren in kleineren Gemeinden, für die sich mehrere Ärzte und andere im Gesundheitsbereich tätige Praxen zusammenschließen und dabei deutliche Synergieeffekte erzielen, nicht zuletzt mit Blick auf einerseits Erreichbarkeit für Patienten, andererseits Abdeckung und Verteilung ihrer Arbeitszeiten.
Sorge bereitet hingegen die im Raum stehende strategische Entwicklung unserer Kreiskliniken:
Fester Grundsatz unserer Krankenhausplanungen bildete: drei Häuser, sämtlich mit Mindeststandard Akutkrankenhaus. Dieser Standard vermochte – durchaus unter tätiger Mithilfe vom Reutlinger Steinenberg aus – lange Jahre auch gewährleistet zu werden.
Der Abzug nicht nur chirurgischer Abteilungen von Bad Urach nach Reutlingen vermittelt aber je länger je mehr den Eindruck, dass allein Reutlingen noch als habhafte Versorgungseinrichtung erhalten bleiben soll.
Diese Entwicklung, insbesondere ihre – wie sich zuletzt herausstellen sollte – Vorplanungen schon seit 1 ½ Jahren, während der Kreistag hierüber erst ganz zuletzt ins Bild gesetzt wurde, musste und muss misstrauisch machen.
Dass – entgegen dem Antrag der Linken – der Kreistag sich darüber lediglich hat informieren lassen, ohne mit eigener Beratung, seiner eigenen Beschlussfassung dazu auch eigene Übersicht und eigene politische Verantwortung dafür zu übernehmen, war kein Ruhmesblatt dieses Hauses.
Jetzt – nachdem wesentliche Entscheidungen zu Verringerung der Standards unserer Häuser bereits gefallen sind – noch zur Bürgerbeteiligung aufzurufen:
dadurch wird sich unser Landkreis kaum glaubwürdiger machen!

Die Sanierung, also dringend notwendige Gesundung des Reutlinger Kreishaushalts ist uns seit jeher und bleibt weiterhin ein dringliches politisches Anliegen.
Die Maläse steckt im Grundsätzlichen. Sämtlichen Gebietskörperschaften unseres Staates – Bund, Ländern und Gemeinden – kommt ein eigenständiges Recht auf selbstverantwortete Einnahmen zu; lediglich die Landkreise bleiben – abgesehen von der marginalen Grunderwerbsteuer – davon ausgeschlossen.
Der Landkreis Reutlingen muss sich mit seinem Etat von € 360 Mio. weiterhin zu € 132 Mio. – also 2/5! – aus der Kreisumlage finanzieren; seine originär eigenen Einnahmen aus Grunderwerbsteuer erbingen gerade einmal € 17 Mio.
Unser Landkreis hängt also auch künftig am Tropf seiner Gemeinden.

Auswirkung:
wir sind, obwohl mit einer der vergleichsweise geringsten Personalausstattungen im Land versehen
– weshalb die heutigen Personaleinsparungsanträge der FWV/CDU als geradezu frivol, wenn nicht skandalös bezeichnet werden müssen –
weiter einer der am höchsten verschuldeten Landkreise in ganz Baden-Württemberg.
Und während in Tübingen ein modernes Landratsamt steht mit sogar zuletzt neuen Anbauten daran, muss sich unser Landkreis auf die Suche begeben nach womöglich und voraussichtlich anmietbaren(!) Räumen, während unsere bisherigen Immobilien versilbert werden sollen!

Dieses Herumkrebsen auf unterem Niveau muss endlich ein Ende haben:
Unsere Kreisgemeinden, dieser Kreistag bleiben in der Pflicht, unserer Kreisverwaltung eine auskömmliche Finanzierung, eine halbwegs vorzeigbare Ausstattung, ein Mindestmaß an bürgerfreundlicher Dienstleistung zur Verfügung zu stellen – die den Vergleich zu den Rathäusern unseres Kreises nicht länger scheuen brauchen!
Und vor diesem Hintergrund nochmals die von mir an dieser Stelle schon einmal gestellte Frage: Welche Gemeinde aus unserem Landkreis wollte sich ernsthaft zumuten, ihr Rathaus verkaufen zu müssen und ihre Verwaltung bei Privaten zur Miete unterzubringen?

Über den Sommer dieses Jahres hinweg begleiteten wir unsere neue Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti bei ihren ersten „Kennenlern-Gesprächen“, darunter Einrichtungen wie Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz usw., bei maßgeblichen Betriebsleitungen von Unternehmen wie Bosch, WAFIOS, Manz, vor allem aber in etliche Rathäuser – insgesamt 14 – des Landkreises.

Welchen Einfallsreichtum und Engagement unsere Gemeinden vor Ort aufweisen und entwickeln, kann nur Staunen lassen: Innerörtliche Entwicklung mit neuen, zusammengefassten Versorgungseinrichtungen, moderne Ladenzentren, medizinische Versorgungszentren, vorausschauende Planung für künftige Gewerbe- und Wohngebiete, neue, zusätzliche(!) Kinderbetreuungen, Jugendhäuser, vorbildlich dezentrale Unterbringung samt Integration der Flüchtlinge –
zusammengefasst: bewunderungswürdige nicht nur Aktivitäten, sondern Erfolge – nicht zuletzt und gerade im sozialen und kulturellen Bereich!

Zunächst langsam entwickelt, dann aber habhaft verfestigt hat sich für mich die Frage:
All diese Fähigkeiten, all dieses Engagement in unserem Kreis, insbesondere zu sozialen und kulturellen Themen –
warum finden diese Kenntnisse und Erfahrungen nicht ihren nicht nur Niederschlag, sondern vielmehr ihren Austausch, ihre gesammelte Verwertung und gebündelte Ausprägung – hier! In diesem Gremium, in unserem Kreistag, in dem doch alle diese Repräsentanten, alle diese Kenntnisse und Erfahrenen aus unserem Kreis versammelt sein sollten?

Und hier? In den Niederungen unseres Kreistags?
Müssen nicht nur soziale Einrichtungen, sondern zudem verdiente Träger der regionalen Kultur bangen und betteln um ihre Anträge:

Wie etwa die Württembergische Philharmonie –
mit Projekten wie „Accompagnato“ mit geistig behinderten Künstlern; in Kooperation mit der Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg außerdem einer Konzertreihe für Menschen mit Demenz; dem interkulturellen Projekt mit Flüchtlingen aus den Landkreisen Reutlingen und Tübingen „FUGATO“ – sowie jetzt seinem „Netz_Werk_Orchester“, das sich speziell an Jugendliche richtet in weiterführenden Schulen auf der Schwäbischen Alb und im ländlichen Raum.

Wie das franz.K –
mit seiner erfolgreicher Kinder- und Jugendarbeit, seinen Inklusionsprojekten, seinen Aktivitäten bei der Integration von Geflüchteten – um nur einige Beispiele zu nennen.
Genau solche Angebote realisieren „Kultur für alle“, schaffen gesellschaftliche Teilhabe und soziale Bindung, bilden dadurch einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in unserer Region –
und liegen somit exakt im Zielfeld unserer aktuell beschlossenen neuen Kulturkonzeption.

Demgegenüber gefallen sich ja manche sogar darin, den Anteil unseres Kreises am Landestheater LTT – hoch anerkannt vor allem dessen Arbeit im Bereich Kinder- und Jugendtheater – von gerade einmal 12 ½ tausend Euro schlicht ganz streichen zu wollen auf Null …
Umgekehrt!
Welcher Landkreis kann derart kulturelle Highlights aufbieten wie unsere Reutlinger Philharmonie, eine ganze Theaterlandschaft mit mehreren namhaften Bühnen samt inzwischen Theaterhaus oder das einerseits längst hochrenommierte franz. K – mit andererseits gerade seinen lobenswert niederschwelligen, in sonst eher kulturferne Milieus hineingreifende Aktivitäten?

Selbst – und gerade! – in unseren ländlichen Gebieten sprießt ein kulturelles Pflänzchen nach dem anderen: Ausstellungen, Aufführungen auch in kleineren Gemeinden, von Kulturscheunen bis Kulturmessen, Kulturtage und -nächte, beginnende „Künstlerkolonien“ auf dem Albgut –
es drängt sich deshalb geradezu auf, diese Kulturangebote zum wechselseitigen Austausch und Vorteil verstärkt zu verknüpfen und zu vernetzen.

Eben darauf zielt ein weiterer unserer Haushaltsanträge, der für die heutige Schlussberatung erneut aufgerufen bleibt, zur (einstiegshalber) Anhebung des Personals sowie der Sachmittel im Kulturbereich des Landratsamtes.

Meine Damen und Herren,

„Gestalterischer Wille und Mut zur Veränderung“
ist die Einbringungsrede des Landrats zu den diesjährigen Haushaltsberatungen überschrieben.

Um die hochattraktiven Potentiale, die unser Landkreis bietet, wirklich zum Wohle seiner Einwohner zu wecken und auszuschöpfen, genügen indes allein Lippenbekenntnisse nicht.
Dazu, meine Damen und Herren, bedarf es Entscheidungen, Beschlüsse – Haushaltsbeschlüsse!
Haushaltsbeschlüsse mit Mut – an der richtigen Stelle!

In diesem Sinne wünschen wir Kreisräte der Fraktion DIE LINKE eine entscheidungsfreudige – für manche zugegeben: mutige! – Beschlussfassung über unseren Haushalt für das Jahr 2019.

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.