Tod hinter glänzender Oberfläche

Bericht über unsere Veranstaltung mit der Friedensgruppe, Pax Christi und attac
Südwestpresse vom 19.09.2011
Reutlingen. Ohne große öffentliche Debatte begann am 1. Juli der freiwillige Wehrdienst. Nicht alle Fragen sind dabei geklärt. Im Haus der Jugend fragte Soziologin Claudia Haydt nun: „(K)Ein Anlass zur Freude?“

Das Problem beim Ende der Wehrpflicht sehen Jürgen Heller von der Reutlinger Friedensgruppe und Referentin Claudia Haydt darin, dass dieses zu keiner öffentlichen Debatte führte und somit auch kein Thema war. „Wir sind an das Thema Krieg und Militär gewöhnt, die Leute regen sich nicht mehr so auf, sie interessieren sich nicht mehr“, stellte Heller in seinen einführenden Worte zum Vortrag der Religionswissenschaftlerin und Soziologin im Haus der Jugend fest.

Mit der Abschaffung der Wehrpflicht glaubt Haydt, dass die Probleme erst beginnen. Das Hauptproblem: Deutschland ist im Krieg und die Wehrpflicht somit eine existenzielle Frage. Besonders im Personalbereich wird abgebaut, statt 220 000 Angestellte soll es laut Haydt künftig nur noch 185 000 geben. Der Großteil werden Berufs- und Zeitsoldaten mit 170 000 Personen sein sowie mindestens 5000 Wehrdienstleistende. Dennoch sollen künftig nicht weniger im Einsatz im Ausland sein. Mit bis zu 10 000 Soldaten ist Deutschland hier bislang vertreten. Ziel sei es, rund 15 000 Soldaten durchhaltefähig einzusetzen.

Neu ist, dass sich bereits die freiwilligen Wehrdienstleistenden zu Auslandseinsätzen verpflichten. „Die Bundeswehr wird so umstrukturiert, dass sie mit weniger Gesamtzahl mehr Soldaten in den Einsatz schicken kann“, hob Haydt hervor. Die propagierten Einsparungen mit der Abschaffung der Bundeswehr seien nicht vorhanden. Die Personalkosten würden umgeschichtet, die Einsparungen fließen nicht in den Staat, sondern in die Beschaffung der Bundeswehr, zudem erhöhe sich der Gesamtetat.

Neben der freiwilligen Wehrpflicht rückt auch der Zivildienst in den freiwilligen Bereich. Beworben wird jedoch selbst vom Bundesfamilienministerium verstärkt der Wehrdienst, wie Haydt feststellte.

Allein die finanzielle Vergütung offenbart die Prioritäten. Wird der Bundesfreiwilligendienst (BFD) mit einem Taschengeld von 330 Euro entlohnt, kann ein lediger 19-Jähriger im untersten Mannschaftsdienst 1490 Euro netto verdienen, legte Haydt dar. Ein Anreiz also für Jugendliche ohne Abschluss, ohne Aussicht auf einen Ausbildungsplatz aus dem sozial schwächeren Bereich. „Die Bundeswehr geht auf die Lebenswelt der Jugendlichen ein, indem sie mit dem Gehalt werben.“ Zusätzlich erhalten sie bei einer Verpflichtung auf 36 Monate eine Prämie von 125 Euro pro Monat sowie eine steuerfreie Pauschale beim Auslandseinsatz von 30 bis 110 Euro pro Tag. „Hier merkt man, wie die Weichen gestellt sind.“ Jedoch nahmen zum 1. Juli nur 3419 den Dienst auf, gut 20 Prozent davon haben sich seitdem aber wieder abgemeldet.

Zum BFD hingegen haben sich trotz schlechter Bezahlung 7644 Personen gemeldet, 6353 davon verlängern den freiwilligen Dienst, stellt Haydt gegenüber: „Jugendliche sind bereit, Nachteile einzugehen, wenn sie es sich leisten können.“

Mit Pathos, Ehre, Humanität und Berufsaussichten wird für den freiwilligen Wehrdienst geworben. Es wird mit Überzeugung gearbeitet, mit einem starken Fokus auf das Dienen. „Warum nennen sie sich nicht gleich Diakonie, das heißt auch Dienen“, tönt es da aus dem Publikum. Die Krise dient als Rekrutierungshelfer, die Bundeswehr garantiert einen sicheren Arbeitsplatz ohne Kurzarbeit.

Das Ende des Zwangsdienstes sei aber nur oberflächlich, machte Haydt deutlich. Jugendliche, die in Hartz IV stecken ohne Perspektive, sehen den Bund als Alternative. Selbst die Arbeitsagenturen kooperieren mit der Bundeswehr. „Wer eine berufliche Alternative hat, geht nicht zum Bund“, betont Haydt. Die Bundeswehr setze jetzt auf Attraktivität, doch „egal wie die Bundeswehr ihren goldenen Rahmen zimmert: Es ist einfach nur die Oberfläche, was dahinter steht, ist Sterben und Töten.“

Rund 20 Zuhörer zog das Thema ins Haus der Jugend. Diese Menge überraschte die Referentin, sie hatte mit wesentlich weniger gerechnet. Dennoch rückte die Frage nach der Abschaffung des Wehrdienstes in der Diskussion an den Rand, sie konzentrierte sich auf das Militär allgemein. Ob das Ende der Wehrpflicht nun (K)Ein Anlass zur Freude sei, blieb daher offen. Haydts Antwort darauf lautet: „Ich freue mich erst über die Abschaffung der Wehrpflicht, wenn es keine Auslandseinsätze mehr gibt.“

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