Das Soziale ist ihr Thema Treffpunkt Lieblingslokal: Die Linken-Kandidatin Jessica Tatti im Gespräch

Von Uschi Kurz – Schwäbisches Tagblatt 07.03.2016

„Wir wollen da rein“, sagt Jessica Tatti mit Nachdruck. Gleichzeitig weiß sie sehr wohl, dass die Chancen, dass ihre Partei in den nächsten Landtag einzieht, recht gering sind. Und doch scheint die 34-Jährige den Wahlkampf zu genießen. Sie nutzt die Zeit, um für die Politik der Linken zu werben.
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Wer derzeit das „Café Nepomuk“ besucht, kommt an Jessica Tatti nicht vorbei – ihr Konterfei hängt direkt neben dem Eingang. Die Vegetarierin kommt aus mehreren Gründen gerne ins „Nep“. Hier findet sie eine reichhaltige Auswahl und muss sich bei den Bestellungen keine Gedanken machen, weil „Wert auf gute Produkte gelegt“ werde. So findet sich beispielsweise kein Cola auf der Speisekarte.

Hier trifft sie Gesinnungsgenossen – auch während des Gesprächs mit dem TAGBLATT wird sie von zwei linken Unterstützern angesprochen. Und sie schätzt die politischen Veranstaltungen im benachbarten franz. K. Die Entscheidung der Geschäftsführung des soziokulturellen Zentrums, die Wahl-Veranstaltung des „Reutlinger Generalanzeigers“ in ihren Räumlichkeiten abzusagen, nachdem klar war, dass auch der AfD-Kandidat auf dem Podium sitzen würde, findet sie absolut richtig: „Das verdient Respekt.“

Dass man, wenn man der AfD kein Podium bietet, auch die Linken von Wahlveranstaltungen ausschließen könnte, sieht sie nicht so. Die AfD sei momentan eine reine Umfragepartei, „wir sind die drittstärkste Fraktion im Bundestag“. Am Tag nach der Podiumsveranstaltung meint sie selbstkritisch: „Das ist ein Format, an das ich mich erst noch gewöhnen muss.“

Abends auf dem Podium, morgens zum Interview, am Nachmittag Gemeinderat. Die Kandidatin der Linken hat ein strammes Programm. Ein Stress, den sie sich freilich gerne antut, denn sie macht es aus tiefer Überzeugung. Man merkt, dass es ihr Spaß macht, auch wenn ihre Chancen, Landtagsabgeordnete zu werden, gering sind. Sie habe sich zuerst mit Politik befasst und dann die richtige Partei gesucht. Während ihres Sozialarbeiterstudiums in Ludwigsburg beschäftigte sie sich intensiv mit Arbeitsmarktpolitik, aber auch mit globalen Strukturen. „Durch diese Themen kommt man irgendwann automatisch zu den Linken“, sagt die 34-Jährige, deren zentrales politisches Anliegen mehr soziale Gerechtigkeit ist.

Als die Sozialarbeiterin vor vier Jahren nach Reutlingen zog, trat sie bei den Linken ein und mischte sogleich kräftig mit. Mittlerweile sitzt sie im Kreisvorstand und im Landesvorstand. Dass sie zudem 2014 auf Anhieb in den Gemeinderat gewählt wurde, hat sie selbst etwas überrascht – und sehr gefreut.

Drei Tage in der Woche berät sie als Sozialbetreuerin Flüchtlinge in einer Unterkunft im Landkreis Esslingen. Die prekären Wohnverhältnisse in der Erst- und Anschlussbringung sind ihr daher gut vertraut. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen kann sie sich als Notfalllösung Sammelunterkünfte vorstellen, aber nur übergangsweise während der Erstunterbringung. Danach seien die Flüchtlinge ganz normale Bewerber auf dem Wohnungsmarkt. Deshalb stimmt sie im Gemeinderat auch konsequent gegen neue Standorte für Sammelunterkünfte.

„Das zentrale Thema für die Landespolitik muss das Thema Wohnraum sein“, wird sie nicht müde zu betonen. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle: „Wir fordern den Bau von 50000 Wohnungen im Jahr, davon 15 000 Sozialwohnungen.“ Dass das Flüchtlingsthema momentan auf allen Ebenen dominiert, sieht sie als Chance, generell über soziale Themen zu sprechen.

Thema Bildung: „Da ist für uns das beste Konzept die Gemeinschaftsschule.“ Den von der CDU geäußerten Vorwurf der „Gleichmacherei“ kann sie nicht mehr hören. Die Gemeinschaftsschule stehe ja gerade für die individuelle Förderung. Mehr Lehrer und weniger befristete Anstellungen im Bildungsbereich stehen auf ihrem Forderungskatalog. Vehement setzt sich die Linke auch für ein landesweites Sozialticket ein: „Mobilität ist ein Grundbedürfnis.“ Zumal dies geeignet wäre, auch Wohnen im Umfeld der großen Städte wieder attraktiver zu machen.

Thema Pflegenotstand: „Der Pflegeberuf ist aufzuwerten durch anständige Löhne, eine gute Ausbildung und sichere Arbeitsverhältnisse.“ Für das alles, weiß sie, müsse man kräftig Geld in die Hand nehmen. Und Tatti weiß auch, woher das kommen könnte. Statt der „schwarzen Null“, fordern die Linken eine Millionärs- und eine Erbschaftssteuer. Dass sich der baden-württembergische Finanzminister und Wahlkreis-Konkurrent Nils Schmid so vehement dagegen wehrt, die „Superreichen“ schonen möchte und dabei noch Finanzminister Wolfgang Schäuble „rechts überholt“, kann sie nicht nachvollziehen.

Auf mögliche Koalitionen angesprochen, meint sie: „Wenn die Inhalte stimmen, arbeite ich mit jedem gerne zusammen.“ Mit Ausnahme der AfD, das versteht sich für sie von selbst. Am liebsten aber wäre ihr eine Zukunft als „starke Opposition“. Dann appelliert sie an alle, wählen zu gehen und ihr Kreuz bei einer demokratischen Partei zu machen, „am besten bei der Linken“.

Was sie am Tag nach der Wahl machen wird? „Arbeiten und nachmittags in den kommunalpolitischen Arbeitskreis der Linken“ gehen. Und ansonsten weiterhin für die Politik der Linken werben. Nach der Wahl ist schließlich vor der Wahl.

 

Jessica Tatti im Kurzporträt

Jessica Tatti hat italienische Wurzeln, ihre Eltern stammen aus Sardinien. Sie selbst ist 1981 in Marbach am Neckar geboren und im Landkreis Heilbronn aufgewachsen. Tatti hat an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg Soziale Arbeit studiert. 2010 zog die Sozialarbeiterin nach Reutlingen, wo sie zunächst in der städtischen Jugendarbeit tätig war. Seit 2012 arbeitet sie im Landkreis Esslingen in der Sozialbetreuung von Flüchtlingen. 2010 ist Tatti in die Partei der Linken eingetreten – 2011 wurde sie in den Kreisvorstand, zwei Jahre später in den Landesvorstand gewählt. 2014 kandidierte sie für die Linke Liste Reutlingen und wurde auf Anhieb in den Gemeinderat gewählt. Sollte sie in den Landtag kommen, möchte sich die 34-Jährige vor allem für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen.

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