Nachttanzdemo zieht erfolgreich mit 500 Menschen durch Reutlingen

Bilanz des Nachttanzdemo Orga-Teams

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GEA-Foto (Kozjek)

„Reclaim your City“ war das Motto, unter dem mehr als 500 Menschen tanzend und feiernd durch Reutlingen zogen. Abwechslungsreiche Musik und außergewöhnlich kreativ gestaltete Lautsprecherwagen sorgten nicht nur unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen für eine ausgelassene Stimmung, sondern auch bei vielen AnwohnerInnen und Passanten, die sich teilweise sogar spontan der Demonstration angeschlossen haben. Die Demo verlief über den gesamten Zeitraum friedlich, es kam zu keiner Auseinandersetzung mit der Polizei.

Um 18:00 Uhr fuhren die ersten Lautsprecherwagen vor dem Hbf vor. Ab diesem Zeitpunkt füllte sich der Listplatz zunehmend mit gut gelaunten Menschen. Nachdem die Auftaktkundgebung abgehalten wurde, setzte sich der Demozug in Richtung Pomologie in Bewegung. Auf der dort durchgeführten Kundgebung forderte Jessica Tatti unter anderem die längst überfällige Aufhebung des Aufenthaltsverbots nach 23 Uhr in der Pomologie und dem Volkspark. Im Anschluss folgten noch weitere Zwischenstopps auf dem Marktplatz und vor dem Polizeipräsidium Reutlingen. In den dort vorgetragenen Redebeiträgen, wurden sexualisierte Gewalt und die Unverhältnismäßigkeit der Reutlinger Polizeiarbeit thematisiert. Gegen 22:15 Uhr zog die mittlerweile stark angewachsene Demonstration euphorisch in Richtung Zelle. Dort folgte dann noch eine ausgelassene Aftershow-Party.

Wie die Organisatoren im Nachhinein erfahren haben, gab es während der Versammlung einen Zwischenfall mit einem betrunkenen Teilnehmer. Dieser soll an der Route gelegene Fahrzeuge beschädigt haben. Die Nachttanzdemo Reutlingen distanziert sich entschieden von dieser sinnlosen Sachbeschädigung. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass dieser Vorfall die Inhalte einer ansonsten rundum gelungenen Veranstaltung nicht in den Hintergrund rücken wird. Schlussendlich betrachten die Organisatoren die Demonstration als einen vollen Erfolg. Mehrere hundert Menschen haben sich den öffentlichen Raum für ihre Vorstellung von alternativer und unkommerzieller Freizeitgestaltung angeeignet und haben gezeigt, dass derartige Aktionen durchaus auch von AnwohnerInnen und Passanten positiv aufgenommen werden.

Für die Organisatoren ist das gelebte Demokratie. Junge Menschen werden Teil der politischen Auseinandersetzung, anstatt dass man sie lediglich in zugeschnittenen Veranstaltungen ein bisschen mitreden lässt. Wir wollen nicht, dass man mit uns in einem vorgefertigten Rahmen diskutiert, wir wollen die die Deutungshoheit über diese Debatte, denn es sind unsere Forderungen und wir sind diese jungen Menschen, über die man in diesem Gemeinderat regelmäßig spekuliert.

Mit der Nachttanzdemo wollen die Organisatoren darauf aufmerksam machen, dass Städte immer stärker darauf ausgerichtet werden, möglichst viel Profit abzuwerfen, was alternative, unkommerzielle Kultur und Lebensentwürfe zunehmend verdrängt. Das Ergebnis sind dann betonierte Einkaufsstraßen, aus denen das Ordnungsamt und die Polizei jeden Ansatz von selbstbestimmter Freizeitgestaltung sofort wieder vergrault.

Insofern bleibt der Tag trotz vereinzelten, unschönen Aktionen bei allen Beteiligten und zuständigen Behörden positiv in Erinnerung.

Redebeitrag von Jessica Tatti:

Liebe Freund_innen einer öffentlichen und lebendigen Stadt,

die Nachttanzdemo ist heute hier in RT, um klarzumachen, dass der öffentliche Raum auch der Öffentlichkeit gehört! Heute nehmen wir uns die Straßen, Plätze, Parks, Fußgängerzonen und die ganze Stadt. Weil wir das wollen!

Wir wenden uns damit gegen die immer weitergehende Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Weil er mehr ist als Boden auf den man Verkaufsflächen und Werbeplakate stellen kann.

Wir können uns in Kaufhäusern, Cafés und Restaurants aufhalten, wenn wir Geld ausgeben wollen oder können.
Das Wichtige ist doch aber, dass der öffentliche Raum ein Wert an sich ist. Er ist Treffpunkt aller Menschen aus allen Einkommensschichten und er ist der Platz für verschiedenste Kunst, Kultur und Jugendkultur bzw. muss es werden.

Wir haben tolle Parks, Fußgängerzonen und Plätze in unserer Stadt, an denen wir aber deutlich mehr Aufenthaltsqualität brauchen – und zwar frei Konsumzwang. Wir wollen Sitzmöglichkeiten und Beleuchtung, damit attraktive Orte zum Magnetpunkt werden können. Das gehört zum urbanen Stadtbild einer Großstadt -und zwar selbstverständlich- dazu.

Wir sagen Nein zu Aufenthaltsverboten an öffentlichen Plätzen!
In Pomologie und Volkspark darf man sich pauschal ab 23 Uhr nicht mehr aufhalten. Das trifft v.a. die Jugend. Jugendliche brauchen Freiräume, wo sie kulturelle Vorlieben entwickeln und eine autonome Freizeit verbringen können. Deshalb wollen wir den uneingeschränkten Aufenhalt in der Pomologie und im Volkspark!

Wer schläft braucht Ruhe, wer feiert macht Lärm. Das ist ein Konflikt in sich und wir haben Verständnis für das Bedürfnis nach nächtlicher Ruhe. Der Konflikt kann aber nicht durch Sperrstunden aufgelöst werden, weil das die Repression der einen Seite zugunsten der anderen bedeutet. Die Innenstadt gehört aber nicht den Anwohnern sondern allen!

Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass jedem Aufenthalt kausal eine Ruhestörung folgt. Das Ordnungsamt muss sich schon mehr Mühe geben, damit nicht alle für Einzelfälle bestraft werden.

Stattdessen müssen Aufenthaltsorte aufgewertet werden, die für die Anwohner nicht so störend sind und dann durch ihre Attraktivität mehr besucht werden als andere.
Der Jugendgemeinderat hat hier im Interesse der ganzen Reutlinger Jugend einen ersten und wichtigen Schritt gemacht:
Am vergangenen Mittwoch wurde eine Sitzbank in der Pomologie aus Finanzmitteln des JGR eingeweiht. Und er hat sich im Gemeinderat erfolgreich für die weitere Entwicklung des Platzes durch Überdachung und Beleuchtung eingesetzt. Damit wird ein Platz aufgewertet, der zentral ist, sich aber nicht in unmittelbarer Nähe von Häusern befindet. Solche Methoden müssen ausgedehnt und gleichzeitig das Nutzungsverbot endlich gestrichen werden!

Wir wenden uns gegen eine Law and Order Politik durch immer noch stärkere Polizeikontrollen. Sie schränken die Freiheitsrechte aller ein. Die Polizei hat die wichtige Aufgabe in Gefahren- und Gewaltsituationen schnell einzugreifen. Sie darf aber nicht selber zum Problem werden.

Das wird sie dann, wenn sie bei Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit anderen aüßeren Merkmalen wie z.B. Dreadlocks von einem erhöhten Gefahrenpotential ausgeht und diese verstäkt Kontrollen unterzogen werden.
Racial Profiling ist als Form der Polizeiarbeit abzulehnen. Es ist eine Form von institutionellem Rassismus, menschenverachtend und schließt Teile der Jugendlichen von einem unbeschwerten Nachtleben aus, das elementarer Bestandteil des Soziallebens ist.

Und das wird sie dann, wenn sie Personen unter Generalverdacht stellt, die einen so genannten milieuspezifischen Ort besuchen, als solcher z.B. die Zelle deklariert ist, und das zum Anlass für Intimkontrollen sieht. Es gibt keine Rechtfertigung solcher verdachtsunabhängiger und potentiell willkürlicher Methoden, nur aufgrund dessen wo man sich aufhält.

Reutlingen ist eine Großstadt, weil sie die Einwohnerzahl dazu erreicht hat. Es fehlt ihr aber noch an Lebendigkeit, urbanem Flair und Nachtleben, um wirklich Großstadt zu sein.

Ich komme oft spät nach Hause und laufe dann die Wilhelmstraße von unten nach oben über den Albtorplatz – das Einzige was ich da oft hören kann, ist das Klappern meiner eigenen Schuhabsätze. Deshalb zeigen wir heute wie bunt, wild und laut RT sein kann!

GEA-Bericht vom 27.07.2015 >>>

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