Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow über sein Verständnis von Politik

Ein Protestant beim Papst: Bodo Ramelow machte Anfang März Schlagzeilen. Thüringens linker Ministerpräsident hatte eine Audienz im Vatikan. „Es war toll und beeindruckend“, sagte Ramelow gestern beim Besuch in der TAGBLATT-Redaktion vor seinem Auftritt in Reutlingen.
12.03.2016 von Ute Kaiser, Schwäbisches Tagblatt

Ein linker Brückenbauer

Tübingen.„Wir brauchen mehr Brücken- und weniger Mauerbauer.“ Diesem Satz von Papst Franziskus zum Thema Flüchtlinge stimmt Bodo Ramelow aus vollem Herzen zu. Unmittelbar nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im September 2014 hatte er sich gewünscht, den Papst kennenzulernen. Ex-Bildungsministerin Annette Schavan hat als Botschafterin im Vatikan diese Begegnung organisiert – als Staatsbesuch. Ramelow sprach mit dem Papst über das Flüchtlingsthema, aber ebenso über das Reformationsjubiläum 2017. In Thüringen, genauer auf der Wartburg bei Eisenach, übersetzte Martin Luther die Bibel.

Brückenbauer muss der 60-jährige Regierungschef in der rot-rot-grünen Koalition sein. Obwohl es unter Linken, Sozialdemokraten und Grünen „auch mal Streit gibt“, ist Ramelow mit sich völlig im Reinen: „Ich habe das Gefühl der höchsten Identität mit mir und dem, was ich tue“, bekennt er. Dass er seit 1999 zunächst in der PDS, später in der Linkspartei ist, ändert nichts daran, dass er sich als „Freigeist“ versteht. Daraus macht er keinen Hehl. „Ich sitze nicht für die Linke im Bundesrat, sondern für meine Koalition.“ Die beschreibt der Landesvater als „konservativ, ökologisch, sozialdemokratisch und revolutionär“.
Brücken baut Ramelow, den Zeitungen als „Kretschmann der Linken“ titulieren, auch beim Thema Flüchtlinge. Er redet mit Bauern wie mit Unternehmern egal welcher Couleur, auch wenn sie „so schwarz sind, dass sie selbst im Kohlenkeller noch Schatten werfen“. So gelang es, Praktikaplätze für Flüchtlinge zu organisieren. Ramelow hat das Projekt mit einem Christdemokraten bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Auf es setzt er große Hoffnungen. „Da guckt die ganze Werkstatt, dass es dem Flüchtling gut geht und er was lernt.“ Beispiele wie diese sind es, „die mir Kraft geben“.
Auch Thüringen ist nicht frei von rechtsextremen Einstellungen, sagt der Ministerpräsident. Eine Studie spricht von 28 Prozent der Bevölkerung. Allerdings seien sie „nicht automatisch Nazis“, so Ramelow. Unter den rund 2,2 Millionen Einwohnern leben kaum Ausländer: „Da können die Leute, die Hass schüren wollen, große Welle machen.“ Im Freistaat haben Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Unternehmer ein „Bündnis für Mitmenschlichkeit“ geknüpft. Es wirbt für ein weltoffenes und tolerantes Land. „Die Arbeitgeber brauchen die Zuwanderung“, sagt Ramelow, um ihre freie Stellen zu besetzen.
Auch die Landesregierung tut ihren Teil. Sie hat das „Heidelberger Modell“ für Thüringen adaptiert. Nach zehn Tagen sei die Perspektive für jeden Neuankömmling geklärt. Die Unterbringung macht keine Probleme. Im kleinen Bundesland, aus dem viele Arbeitskräfte in den Westen abgewandert sind, stehen Krankenhäuser, Kasernen und Schulen leer. Als vergangenes Jahr Unmengen von Flüchtlingen in Baden-Württemberg und Bayern ankamen, war Thüringen bereit zu helfen.
Das hat zu einer enormen Ausgabensteigerung geführt. 2014 gab das Land 45 Millionen Euro für Flüchtlinge aus, im vergangenen Jahr waren es 190 Millionen, in diesem Jahr sind im Haushaltsplan 479 Millionen Euro veranschlagt. An den Kosten der Integration, findet der Ministerpräsident, müsse sich der Bund angemessen beteiligen. Seine Strategie, um das zu erreichen: Die Regierungschefs der 16 Bundesländer sollten Finanzminister Wolfgang Schäuble gemeinsam „unter Druck setzen“.
Allerdings sieht Ramelow auch Lichtstreifen. In den regelmäßigen Runden mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sei „schon viel passiert“. Als Stichworte nennt er die Erfassung der Flüchtlinge und die Ausweise, die in absehbarer Zeit kommen sollen. „Wenn wir das ,wir schaffen das’ positiv füllen, wird es zum ersten Mal eine gesamtdeutsche Leistung sein“, ist der thüringische Ministerpräsident, der aus dem Westen stammt, zutiefst überzeugt.
Ein Grund für die Erfolge der Rechspopulisten sind Ängste. „Niemand darf in diesem Land Angst vor Armut haben“, sagt Ramelow. „Merkel müsste einen Sozialstaatsgarantie geben.“ Ginge es nach ihm, wäre längst schon eine moderne Bürgerversicherung eingeführt, die vor Armut im Alter schützt. Was die „nationalpopulistische Welle“ angeht, liege Deutschland „im europäischen Schnitt“. Den Grund dafür sieht er darin, „dass immer wieder große Banken gerettet worden sind“, aber sich niemand um die sozialen Aspekte gekümmert habe. Ein Besuch in Budapest hat ihn bestätigt: „Die Ungarn sind so laut, weil sie sich abgehängt fühlen“, sagt der überzeugte, aber auch besorgte Europäer. „Wenn Europa nicht wieder die Herzen der Menschen erreicht, ruinieren wir Europa.“
Den Vatikan hat ein Produkt aus Thürigen erreicht, das ein Hersteller und überzeugter Christdemokrat dem linken Regierungschef nach Rom mitgab: Benediktiner-Senf aus Altenburg. Ramelow gelang es, das Präsent über einen ihm bekannten Padre in den Vatikan schmuggeln zu lassen. „Mein Protokoll hat Kopf gestanden“, sagt der Landesvater und lacht verschmitzt. Gestern bekam Ramelow die Bestätigung, dass der Senf wirklich angekommen ist. „Der Papst hat sich bedankt.“
Vom hessischen Gewerkschafter zum Premier in Thüringen
Bodo Ramelow ist 1956 im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck geboren, später zog die Familie nach Hessen. In Gießen machte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Von 1981 an war Ramelow Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. 1990 ging er nach Thüringen, um beim Aufbau der neuen Gewerkschaftsstrukturen zu helfen. 1999 wurde er für die PDS in den Thüringer Landtag gewählt. 2004 gewann er ein Direktmandat in Erfurt. Im September 2005 errang er ein Bundestagsmandat auf der Landesliste der Linkspartei. 2009 wurde er Spitzenkandidat bei der Landtagswahl und bis 2014 Fraktionsvorsitzender. Am 4. Dezember 2014 wählte ihn der Landtag zum Ministerpräsidenten.

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