Wohnen ist Menschenrecht

Am 30. Januar wurde im Gemeinderat wieder einmal über das Thema „Reutlinger Wohnungspolitik“ diskutiert.
Der konservative Block lehnt unter anderem den Vorschlag der Verwaltung ab, die Bindungsfrist öffentlich geförderter Wohnungen auf die maximale Höhe von 40 Jahren anzuheben. Statt dessen soll Immobilienspekulanten die Tür aufgemacht werden. Mit Steuergeldern lassen sie Wohnungen bauen, die bereits nach 10 Jahren aus der Preisbindung fallen und Mieterhöhungen oder Umwandlungen in Eigentumswohnungen ermöglichen.


In Deutschland gab es 2006 2 Mio. Sozialwohnungen. Heute sind es nur noch 1 Mio. Wohnungen, weil laufend mehr Wohnungen aus der Bindungsfrist fallen, als neu gebaut werden. Im Wohnraumbericht 2022 heißt es: „Auch in Reutlingen ist der Bestand an öffentlich geförderten Wohnungen in den vergangenen Jahren geschrumpft. Am 31.12.2019 wurden 1.505 Einheiten in der Wohnungsbindungskartei geführt, darunter 1.495 im Reutlinger Bestand der GWG. Am 31.12.2022 waren es noch 1.404 Einheiten, darunter 1.396 im Reutlinger Bestand der GWG. In den nächsten Jahren werden 99 öffentlich geförderten Wohnungen aus der Bindung fallen: 2024: 7, 2026: 17, 2029: 75.“
Wir verweisen auf Wien, dass hat keine Befristung ihrer geförderten Wohnungen hat, was ihr europaweit als Vorbild Beachtung bringt, übrigens ebenso gesehen vom „Lebenslagenbericht Menschen in Wohnungsnot“ des Landkreises.
Das Landesgesetz zur Förderung von Wohnraum sollte für uns verbindlicher Auftrag sein. Dort heißt es im § 1: „Zielgruppe der Mietwohnraumförderung sind ausschließlich Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind.“
Mit dem von uns initiierten „Reutlinger Bündnis gegen Wohnungsnot“ wird es ein Hearing geben, das vor allem auf diese Problematik und den entsprechenden Handlungsbedarf fokussiert ist. In diesem Bündnis sind die Wohlfahrtsverbände und Beratungsstellen, die die Menschen betreuen, deren Zugang zu bezahlbaren Wohnraum verwehrt ist.
Das dies viele sind, wird dort in deren Alltag deutlich, doch wäre es eine Aufgabe der Stadt dazu valide Daten zu ermitteln, um eine Planungsgrundlage zu haben, die dann in eine Gesamtplanung zur Wohnungspolitik einfließen müsste.
Um eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu erreichen, gilt es Leerstände zu nutzen. Dazu müsste dieser erst einmal erfasst werden. Die Ergebnisse des Zensus 2022 stehen noch aus. Sie sollten im November 2023 zur Verfügung stehen, um aktuellere Daten über den Leerstand in Reutlingen zu liefern.
Eine von uns beantragte Zweckentfremdungssatzung wird von der Verwaltung und den konservativen Fraktionen abgelehnt.
Die Städte mit einer Zweckentfremdungsverbotssatzungen gehen von einer hohen präventiven Wirkung aus. Berlin hat mit seiner Satzung seit 2014 mehr als 44 000 Wohnungen wieder als Wohnraum zur Verfügung gestellt.
Reutlingen hat das Ziel Touristen hier her zu locken (Stichwort Biosphärengebiet, Bundesgartenschau) – das wird den Anreiz von Immobilienbesitzern erhöhen, Wohnungen in Ferienwohnungen umzuwandeln, mit Kurzzeitvermietungen per Airbnb.

Die grundgesetzliche Forderung „Eigentum verpflichtet“ wird ignoriert. Die Ignoranz gegenüber den Menschen, denen das Menschenrecht auf Wohnen verwehrt wird, bedauern wir.
Statt den Bestand an Wohnraum auszuschöpfen, müssen unnötig Flächen durch Neubau versiegelt werden. Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln.
Allein auf die angeblich preisdämpfende Erhöhung des Angebots an Wohnungen zu setzen, wie es die Verwaltung tut, ist ein Irrtum:
„Bauen, bauen, bauen“ erhöht die Angebotsmieten und nicht die Bestandsmieten und damit das durchschnittliche Mietpreis-Niveau.
Das ist das Ergebnis einer Schweizer Studie zu deutschen Großstädten.
Es ist vorgesehen, mit einer Neufassung der städtischen Stellplatzsatzung den nächsten Schritt zu gehen. Ziel ist es, ich zitiere: „der Möglichkeit zur Reduzierung von Stellplätzen über eine zeitgemäße Stellplatzsatzung in Reutlingen zur Allgemeingültigkeit zu verhelfen.“
Unser Antrag Mieterticket für Menschen, die auf einen Stellplatz verzichten, ist in der Verwaltungsvorlage nicht berücksichtigt, obwohl damit die Baupreise deutlich reduziert werden könnten, vor allem wenn Tiefgaragenplätze – die wegen der Stadtgeländewagen immer größer werden müssen – bis zu 40 – 50000.- Euro kosten.

Alle unsere Forderungen zu denen wir zahlreiche Anträge eingereicht haben, finden sich auch im Lebenslagenbericht des Landkreises „Menschen in Wohnungsnot“.

Trotz unserer Kritik sehen wir in der Verwaltungsvorlage, die nach Vertagung noch einmal zur endgültigen Abstimmung in den Rat kommt, Schritte in die richtige Richtung.

Die Erhöhung des Anteils geförderter Mietwohnungen auf 30%.
Die Anhebung der Bindungsfrist auf die maximal möglichen 40 Jahre.
Die Benennungsrechte gegenüber der GWG.
Das Bekenntnis zu einer aktiven Liegenschaftspolitik.
Bei Konzeptvergaben die Bevorzugung der Gemeinwohlorientierungen.
Und schließlich die Ausweitung kommunaler Vorkaufsrechte.

Um diese Schritte nicht aufzuhalten, werden wir trotz unserer Kritik der Verwaltungsvorlage in seiner vorgelegten Fassung zustimmen.

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