Thomas Zieglers Haushaltsrede 24/25

Beschlußfassung Haushalt 2024/25

Sehr geehrte Damen und Herren,
werte Kolleginnen und Kollegen Kreisräte,
sehr geehrter Herr Landrat,

in Vorbereitung dieses Beitrags sind die Inhalte der hier heute vorausgegangenen Reden selbstverständlich nicht bekannt gewesen – allerdings lebhaft zu befürchten: sie rufen ganz überwiegend eindringlich auf: unserem Landkreis geht das Geld aus, einsparen, einsparen, einsparen – hütet euch strikt, auch nur einen Cent mehr beschließen zu wollen als der Kreiskämmerer im Namen des Landrats euch zubilligt!

Unser Beitrag der Fraktion DIE LINKE wird hierzu einen Kontrapunkt setzen. Die Gründe dafür werden sich hoffentlich aus der weiteren Rede erschließen.

Als für unser gesamtgesellschaftliches Umfeld durchaus nicht unrepräsentativ drei Beispiele aus der Berichterstattung der vergangenen vier Wochen:

– Das Bundesverfassungsgericht cancelt – unter Fachleuten absehbar – den Berliner Regierungsetat um (je nach Zeitraum) 17 bis 61 Mrd. €.

Jener Haushalt enthält – gemäß Berechnungen immerhin des Bundesumweltamtes – sog. (Zitat) „umweltschädliche Staatshilfen“ im Umfange 65 Mrd. €; davon allein für den Bereich „Verkehr“ etwa die Steuersubventionen Dieselkraftstoff 8 Mrd., Entfernungspauschale 6 Mrd. sowie Flugbenzin 8 1/2 Mrd. €: insgesamt 31 Mrd. €. (1)

– Der Vorstand des Staatsunternehmens Deutsche Bahn AG genehmigt sich für das Geschäftsjahr 2022 nachträglich Vorstandsboni im Umfang fast fünf Mio. €. Begründung: die Vorstandsziele „Stimmung in der Belegschaft“, „Frauen in Führungspositionen“, „finanzielle Lage“ sowie „persönliche Leistung“ seien zu mindestens 175 % übertroffen worden. Diese Boni fallen – bis auf eine Ausnahme – für sämtliche Vorstandsmitglieder jeweils höher aus als ihr für 2022 bezogenes Festgehalt. (2)

– Die ZDF-Doku „Milliardenspiel“ legt offen, wie in einem Frankfurter 5-Sterne Hotel, in dem sich auf Einladung einer einschlägigen Anwaltskanzlei eingefunden haben (Zitat) „die Reichsten und ihre Berater“, eine Dame referiert über das Thema „Steuervergünstigungen“. Diese dort wörtlich: „Wir haben ja alle Werkzeugkästen. Da bin ich mir hundertprozentig sicher, dass Sie insofern ruhig schlafen können.“ Unglücklicherweise befindet sich im Publikum ein Reporter des ZDF mit versteckter Kamera. Bei der referierenden Dame handelt es sich um Ministerialrätin Gerda Hofmann, Leiterin des Referats IV D 4 im Bundesfinanzministerium und damit für die Bereiche Erbschaftsteuer, Grundsteuer und Vermögensteuer zuständig als höchste Staatsbeamtin … (3)

Die über die vergangenen Jahrzehnte hinweg verschärfte Umverteilung des gesellschaftlichen Vermögens von unten nach oben verdankt sich wohl auch begleitend internationalen Ursachen wie bspw. Corona, den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands in die Ukraine sowie überhaupt zunehmend diktatorischen Regimen, die ihren politischen samt ökonomischen Einfluss geltend machen wollen bis hin zu vermehrten Kriegen – die zunehmende Verarmung von ihrem Einkommen her unterer sowie inzwischen auch mittlerer Bevölkerungsschichten ist aber durchaus hausgemacht. Hinzu kommt die angestiegene Inflation.

In meiner Jugend war es dem qualifizierten Arbeiter bei WAFIOS, einem Polizeibeamten oder selbst dem Friseur sehr wohl noch möglich, für seine Familie ein Reihenhäusle etwa auf der Römerschanze oder im Storlach, später in Orschel-Hagen zu erstehen. Ohne sonstiges, vor allem ererbtes Vermögen bleibt dies heute nur noch schwerlich möglich.

Damit Blick auf die niederen Ebenen unserer Kreisfinanzen. Unsere wesentlichen aktuellen Investitionsvorhaben:

– Regionalstadtbahn: erstaunlich exakt jenes Streckennetz, aus dem wir jetzt begonnen haben, wenigstens die (Mindest-)Phase 1 umzusetzen, war durch den BUND, dort in Person des Architekten Erich Jacoby, schon Anfang der 80-iger Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts konzipiert worden.

– dringend notwendiger Neubau Landratsamt: gleichfalls bereits seit mindestens 30 Jahren überfällig. Genau für diesen Zweck war seinerzeit durch die Stadt Reutlingen das frühere Areal Fa. Heinzelmann an der Planie erworben worden.

– Neubau Kreiskliniken: war schon spätestens seit den 90-igern des letzten Jahrhunderts als notwendig angesehen worden; damals noch auf Geländen Markwasen oder Hohbuch.

Der Landkreis hat jetzt also Aufgaben – und zwar für seine Einwohner hoch „systemrelevante“ Aufgaben! – nachzuholen, deren Umsetzung sowie vor allem Finanzierung in der Vergangenheit schlicht versäumt worden ist. Ein ähnliches Lied kann ja die Stadt Reutlingen singen, die den Löwenanteil ihrer derzeitigen Investitionen in die seit 30 Jahren unterlassene Sanierung ihres Rathauses zu stecken hat.

Und u. a. mit Blick auf inzwischen zu mindestens einem Drittel, wenn nicht gar zur Hälfte nach Sanierung schreiende Bahnstrecken und Autobahnbrücken gilt dies für die gesamte öffentliche Hand:

während sich in Deutschland der Reichtum der – wie schon eingangs aufgeführt: pfleglich verschonten – Milliardäre exponentiell vermehren darf, verfallen immer mehr unsere von allen Bürgern nicht schlicht nur genutzten, sondern zwingend benötigten Infrastruktur-Einrichtungen!

Oder, wieder etwas hautnäher gefragt: welcher – ja auch in unseren Kreistagsreihen vertretenen – Unternehmer fände es passend, dass die für seinen Betrieb notwendigen Neubauten 30 Jahre warten müssten? Aber der öffentlichen Hand, unserem Landkreis, letztlich unseren Kreiseinwohnern will man dies so lange zumuten bis kurz bevor dann wirklich irgendwo etwas herunterfällt …

Selbstverständlich ist auch uns „Linken“ bewusst, dass die in Berlin oder Stuttgart zu verantwortenden Verhältnisse nicht allein aus der Reutlinger Bismarckstraße heraus zu beheben sein werden.

Aber: wir sollten uns für diese Haushaltsberatung wenigstens in der Verpflichtung sehen, nicht auch noch gerade in jene gesellschaftlichen Bereiche hinein, die bspw. unter Inflation oder Corona am bittersten zu leiden hatten und noch haben, uns unnötig zugeknöpft zu zeigen. Und dies betrifft in besonderem Maße die Themen Soziales sowie Kultur – also genau jene Bereiche, für die heute noch mehrere durch unsere Fraktion mitgetragene Haushaltsanträge zu entscheiden bleiben.

Zwei davon möchte ich hier ausdrücklich ansprechen:

– Die NAWO der Arbeiterwohlfahrt engagiert sich seit Jahren – und zwar überaus erfolgreich – darin, Wohnungslose in Privatwohnungen zu vermitteln. Das ist nun wirklich eine Aufgabe an den Bedürftigsten der Bedürftigen. Dass diese Arbeit in hohem Maße personalintensiv ist, liegt ja auf der Hand. Mit dem regulär haushaltsüblichen jährlichen Anhebungssatz von 2 % kann diese Einrichtung angesichts der gegenwärtigen Personalkostensteigerungen sowie Inflation unmöglich weiter zurechtkommen – ohne Ihre Arbeit einschränken zu müssen! Wäre das wirklich verantwortbar?

– Das seit langen Jahren Reutlingen kulturell nicht minder erfolgreich bereichernde TheaterPädagogikZentrum Baden-Württemberg hat für seine bisher angebotenen Kurse aus gerade eben erst absolvierten Corona-Bedingungen heraus außergewöhnlichen Zuspruch von Kindern, Jugendlichen und Schulklassen erfahren. Selbstverständlich sollten diesen Teilnehmern die Kurse des TPZ jetzt weiterhin zur Verfügung stehen dürfen ohne wieder nach Hause geschickt werden zu müssen.

Für das kommende Jahr vermag erfreulicherweise eine Spende aus einer Vereinsauflösung diese Angebote abzusichern; ob sie danach aber weiter in das Jahr 2025 hinein fortgeführt werden können – obliegt letztlich der wohlwollenden Entscheidung unseres Kreistags …

Meine Damen und Herren,

für diese Entscheidungen sollten wir doch im Auge behalten:

– Unsere Kreishaushalte umfassen für den dazu maßgeblichen Ergebnishaushalt Volumina für 2024 von ca. 485 Mio. sowie für 2025 von ca. 510 Mio. €. Damit erfreuen wir uns bereits von 2023 auf 2024 einer Ausweitung dieser Verfügungsmittel um etwa 10 %!

– Selbst für den Fall, dass sämtliche – ja ausschließlich die Bereiche Soziales sowie Kultur betreffenden – Fraktionsanträge heute positiv beschlossen werden dürften würde deren Gesamtumfang allenfalls eine Größenordnung erreichen von etwa 300.000 € – entsprechend somit gerade einmal 0,05 % unserer Haushalte!

Die wenigen heute noch zur Abstimmung anstehenden Fraktionsanträge hätten Ihre Zustimmung außerdem um so mehr verdient, als Sie dafür nicht – wie bisher üblich – etliche spezifische Einzelanträge einzelner Fraktionen vorfinden:

sondern sämtliche Fraktionen sowie Einzelmitglieder des Kreistags sich haben bereits im Vorfeld darauf verständigen können, zu allen betreffenden Anliegen jeweils nur einen, dafür aber umfassend gemeinsamen, überfraktionellen Antrag einzureichen.

Diese einvernehmlich abgestimmte Vorgehensweise, für die wir den beteiligten Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle unseren ausdrücklichen Dank aussprechen möchten, vermochte bisherige Vorberatung und wird unsere heutiges Abschlußprozedere deutlich spürbar vereinfachen und damit verkürzen.

Vergleichbares gilt für die für unseren Landkreis heute erstmals anstehende Verabschiedung eines Doppelhaushalts.
Nachdem diese Zeitspanne für die Stadt Reutlingen sich schon vor 20 Jahren bewährt hatte bin ich dem Kreiskämmerer – Herr Klett wird es Ihnen bestätigen – mit dem Wunsch auf zeitlich parallele Übernahme oft genug in den Ohren gelegen.

Künftig wird – abgesehen von zeitlich verdoppelter Haushaltsverbindlichkeit und damit Planungssicherheit – uns Kreisräten also deutlich mehr Zeit zur Verfügung stehen uns weniger mit Zahlenkolonnen als mit eher inhaltlich politischen Aufgaben des Landkreises zu beschäftigen.
Es wird wohl nötig werden …

Nicht zuletzt somit dafür, sondern gleichfalls für ihre ebenso im sonstigen kommunalpolitischen Alltag erwiesene ausgesprochen vorzeigbare Arbeit gilt unser verbindlicher Dank allen Mitarbeitern des Reutlinger Landratsamtes sowie ausdrücklich auch Ihnen, Herr Vorsitzender. Ungeachtet dessen, dass sich unsere Klingen – auch heute – gelegentlich kreuzen wissen wir durchaus zu schätzen, dass die Verantwortung für diesen Landkreis Ihrer Persönlichkeit anvertraut ist.

Wir Kreisräte der Fraktion DIE LINKE wünschen Ihnen und Ihren Familien frohe und besinnliche Weihnachtstage!

Thomas Ziegler – 20.12.2023

Quellen:
(1) Süddeutsche Zeitung 23.11.2023, S. 13
(2) Süddeutsche Zeitung 12.12.2023, S. 13
(3) Süddeutsche Zeitung 12.12.2023, S. 9

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