Gemeinderat: Rüdiger Weckmanns Haushaltsrede 24/25

Bei der Beschlussfassung des Doppelhaushalts 2024/25 am 21.12.2023 im Reutlinger Gemeinderat

Das Haushaltsrecht wird traditionell als das Königsrecht des Rates bezeichnet. Deshalb werden Haushaltsreden gerne dazu genutzt, die eigenen politischen Grundsätze darzustellen.
Auch wir wollen das machen, gerade auch weil der Doppelhaushalt 2024/25 kaum Spielraum lässt, gemäß unserer Grundsätze eigene Zielsetzungen durchzusetzen. Die Mangelverwaltung, zu der uns die knappen Finanzen zwingt, bedeutet gleichzeitig ein Mangel an demokratischen Spielräumen.

Den notwendigen Investitionen in Schulen, Kinderbetreuung, Verwaltung und Infrastruktur, sowie die ausreichende Finanzierung der sogenannten freiwilligen Leistungen, steht eine unzureichende Einnahmeseite gegenüber.

Beantwortet wird dies mit den Bemühungen mehr Gewerbe anzusiedeln. Dies in Konkurrenz zu anderen Städten und Gemeinden, in der Erwartung eines Tages steigende Gewerbesteuereinnahmen zu haben, die die damit verbundenen Infrastrukturkosten überkompensieren sollen. Ein weiterer Flächenverbrauch wird damit, in Ignoranz der dramatischen Klimaerwärmung, in Kauf genommen.
Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Landkreises Reutlingen haben kürzlich gemeinsam, aus gutem Grund in Richtung Bundes- und Landespolitik Alarm geschlagen, weil diese den Kommunen immer mehr Aufgaben aufbürdet, ohne für die vollständige Deckung der damit entstehenden Kosten zu sorgen.
Einen Rettungsschirm für die Kommunen gab es einmalig in der Corona-Pandemie. Ein weiterer wäre dringend erforderlich.

Ein gigantisches Sondervermögen wird für die Rüstung generiert.
Für Bildung, Gesundheit, Soziales, Klimaschutz und für die Aufgaben der Kommunen werden die Mittel dagegen reduziert.

Diese Problematik wird zum Teil in den allgemeinen Bemerkungen zum Haushaltsplan angesprochen. Was aber in diesen Bemerkungen fehlt, sind Ausführungen zur Vermögensverteilung und zu deren Besteuerung, also zu den Möglichkeiten die Einnahmen zu erhöhen.

Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung stellt fest, dass der Wert der deutschen Milliardenvermögen mindestens bei etwa 1400 Milliarden liegt, rechnet man noch die Vermögen in Offshore-Standorten dazu,
wäre laut Studie die Summe von 2000 Milliarden nicht unplausibel.

Seit Mitte der 90er-Jahre seien die Steuersätze auf diese Vermögen deutlich gesenkt worden. Viele der sehr großen Vermögen sind inzwischen vom Ursprungsunternehmen abgetrennt. Eine höhere Besteuerung würde deshalb die Substanz der Unternehmen nicht gefährden. Nur 10% der Bundesbürger sprechen sich gegen eine höhere Besteuerung der Superreichen aus.
In der Zeitschrift Stern gab es eine Karikatur in der die Frage gestellt wurde: Was soll ich ihm nur schenken, er hat doch alles? Die Antwort: Die Vermögenssteuer.

Während andere europäische Länder mit Übergewinnsteuern auf die Gewinner der aktuellen Krisen, Mittel für das Gemeinwohl heranziehen, wird in Deutschland auf Kosten der Kommunen gespart .

Ich will keine Zahlen nennen, wie viel Milliarden durch eine gerechte Steuerpolitik zu Wohle der Allgemeinheit generiert werden könnten, denn das haben nicht nur wir, sondern unter anderem das Netzwerk Steuergerechtigkeit, die Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaften ausreichend getan.

Deutschland ist nach wie vor ein reiches Land. Das Problem ist – wie aufgezeigt – die Verteilung dieses Reichtums, die uns als Kommune eine Mangelverwaltung aufzwingt.

Dieser Haushalt wird in der Reutlinger Bevölkerung keine Begeisterungsstürme auslösen. Im Gegenteil wird gefragt werden, was Gemeinderat und Verwaltung falsch gemacht haben, dass es so weit gekommen ist. Deshalb ist es uns wichtig aufzuzeigen, dass die Rahmenbedingungen in Berlin und Stuttgart festgelegt werden und die dort regierenden Parteien für den Missstand verantwortlich zu machen sind. Die Kommunen sind die letzten in der Nahrungskette.

Wir als Linke Liste klagen dies an, können uns aber nicht der Notwendigkeit entziehen, beim Ringen um einen genehmigungsfähigen Haushalt Kompromisse mitzutragen.

Wir stimmen dem interfraktionellen Antrag aller demokratischen Kräfte in diesem Gemeinderat zu, bei dem alle Abstriche von ihren Zielen machen mussten. Uns war es wichtig, Anträge durchzubekommen, mit denen Menschen unterstützt werden, denen es am schlechtesten geht, die am Rande der Gesellschaft stehen, etwa weil sie obdachlos oder suchtkrank sind.

Deshalb freut es uns, dass in den Verhandlungen am Ende doch noch das Kontaktcafe der Drogenberatung und das Netzwerk ambulante Wohnungssicherung NAWO der Arbeiterwohlfahrt berücksichtigt werden konnte.

Zu weiteren Anliegen, die uns wichtig waren, mussten wir keine Anträge stellen, weil sie bereits im Verwaltungsentwurf Aufnahme fanden. Hier möchte ich die die Mobile Jugendarbeit nennen, die finanziell gesichert wird. Die Pandemie hat die Zahl der Jugendlichen erhöht, die einen Betreuungsbedarf haben. Der Mobilen Jugendarbeit sind etwa 80 Jugendliche bekannt, die wohnsitzlos sind. Sie kommen bei Bekannten und Freunden provisorisch unter.
Beigetragen zu diesem Notstand hat die Situation auf dem Wohnungsmarkt, wo das Angebot an bezahlbaren Wohnungen deutlich hinter der Nachfrage her hinkt.
Dies trifft weitere Bevölkerungsgruppen, die keinen Zugang dazu haben. Frauen im Frauenhaus, Menschen mit psychischen und Suchterkrankungen, Menschen in Altersarmut usw.

Wir haben deshalb ein Bündnis gegen Wohnungsnot initiiert, in dem die Wohlfahrtsverbände, Beratungsstellen und mehrere
politische Gruppierungen vertreten sind und die Lösungsansätze für diese Problematik erarbeiten und vorstellen will. Im kommenden Jahr soll zu diesem Thema ein Hearing im Gemeinderat stattfinden.
Nach der inhaltlichen und personellen Neuausrichtung der GWG erwarten wir einen gesteigerten Tatendrang um die Wohnungsnot zu lindern.

Wir tragen auch Investitionen mit, die dem historischen Erbe und der Identifikation mit der Stadt dienen sowie eine neue Attraktion schaffen, namentlich die Häuserzeile Oberamteistrasse mit dem Glasanbau.

Die Kritik daran vergisst, dass hier bedeutende Fördermittel eingesetzt werden und eine Alternative zum Glasbau ohne Fördermittel der Stadt deutlich mehr kosten würde.

Insgesamt kann uns der Ausblick nicht optimistisch stimmen. Die politische Großwetterlage lässt nicht erwarten, dass Mehrheiten für eine gerechtere Verteilung der erarbeiteten Werte sorgen werden, um damit auch die Kommunen besser finanziell auszustatten.

Es wird weiter Flächenverbrauch stattfinden, um die Gewerbesteuereinnahmen zu stärken.
Trotzdem wird Geld fehlen, um die ökologische Verkehrswende zu finanzieren. Allein die Regionalstadtbahn reicht hierfür nicht aus. Maßnahmen zur Klimaanpassung, durchgreifende Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum werden aufgeschoben, eine aktive Bodenpolitik der Stadt um den sozialen Wohnungsbau zu fördern, ist durch die begrenzten Mittel limitiert. Die Möglichkeiten der Stadtplanung bleiben bei fehlenden Finanzen bescheiden.
Katastrophal wirkt sich das Unterlassen notwendiger Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen bei den Schulen und Kindergärten aus.

Trotz allem will meine Rede nicht pessimistisch beenden. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.
Die Hoffnung darauf, dass sich die Einsicht in möglichst allen politischen Gruppierungen durchsetzen möge, dass die
wachsende Ungleichheit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet und mit ihr die Gefahr einer zunehmenden Abwendung von unserer parlamentarischen Demokratie.

1 Comment
  • Erika Filp
    Posted at 19:22h, 22 Dezember Antworten

    Rüdiger Weckmann, deine klare Rede mit überzeugenden Argumenten verdient Anerkennung! Möge der Applaus der anderen Fraktionen im Gemeinderat auch weiterhin erklingen, wenn es 2024 darum geht, konkrete Entscheidungen zu treffen.

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